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Air Antonow: Weltmeister über den Wolken / Wunderwelt Wissen (8 Seiten) / 2009

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Air Antonow: Weltmeister über den Wolken
Die Antonow-124 Ruslan ist der Superschwergewichts-Champion der Transportflugzeuge. Für die Nato und das US-Militär fliegt er Panzer und Kampfhubschrauber in Kriegsregionen, für die Uno Hilfsgüter und Blauhelmtruppen, für Industrieunternehmen Bohrtürme, Bulldozer und Bahnwaggons rund um den Globus
Fotos: Doc Baumann
Die Pfützen am Flughafen kräuseln sich. Viele Dutzend Augenpaare schauen gebannt nach oben. Man sieht es noch nicht. Doch das Grollen und Pfeifen der vier 1000 kN Schubkraft starken Triebwerke klingt schon mal mächtig beeindruckend.
Da kommt etwas ganz Großes vom Himmel herunter. Etwas Gigantisches. Und als es im Landeanflug endlich durch die tief hängende Wolkendecke stößt, die an diesem Tag wie ein stahlgraues Plumeau über dem Airport Parchim in Mecklenburg-Vorpommern liegt, ist man nicht enttäuscht. Ein so gewaltiges Flugzeug bekommt der Schaulustige wirklich nicht jeden Tag zu sehen.
Doch es ist nicht nur irgendeine Riesenmaschine. Es ist ein Wunderwerk der Luftfahrttechnik und dazu ein kolossaler Überflieger der Weltwirtschaft.

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DER RUSSISCHE RIESENVOGEL IST EINE GENIALE GELDMASCHINE
Die bärenstarke russisch-ukrainische Antonow-124 Ruslan (AN-124) ist der unumstrittene Weltmeister in der Superschwergewichtsklasse der Frachtflugzeuge. Anfang der achtziger Jahre für das Militär der ehemaligen Sowjetunion gebaut, 69 Meter lang, 21 Meter hoch, 73 Meter Spannweite, 230.000 Liter Tankkapazität. Die maximale Abfluglast beträgt 405 Tonnen, die Reichweite bei voller Beladung rund 5000 Kilometer. Kaum vorstellbare 120 Tonnen Nutzlast kann der größte jemals in Serienproduktion hergestellte Lufttransporter hoch über den Wolken transportieren. Er macht große Distanzen klein. Seit zweieinhalb Jahrzehnten fliegt die AN-124 ohne wirkliche Konkurrenz in ihrer ganz eigenen Gewichtsklasse.
Das tut sie nach Russlands politischer und wirtschaftlicher Öffnung, in Zeiten des globalisierten Weltmarktes sowie des Krieges gegen den Terror sowohl für zivile als auch immer mehr für militärische Auftraggeber aus dem Ausland: für die US-Army, die Nato, die Blauhelmtruppen und Nothilfeprojekte der Uno. Für Unternehmen, die an den Börsen von Moskau, New York, Tokio, Shanghai, London und Frankfurt notiert sind. Für jeden, der die gepfefferten Transportkosten bezahlen kann. Der Markt für Antonow-Transporte wuchs in den vergangenen Jahren kontinuierlich um 15 bis 20 Prozent. Andrej Bolshov, Marketingchef bei der Fluggesellschaft Wolga-Dnjepr, räumt zwar ein, dass die Finanzkrise jetzt auch in seiner Branche angekommen ist, glaubt aber, dass das Geschäft mit
Superschwertransporten beinahe stabil bleibt. Das liegt vor allem an den zahlreichen militärischen Aufträgen. Im nächsten Jahr, wenn ein Großteil der US-amerikanischen Soldaten aus dem Irak abgezogen wird, dürften die Auftragsbücher der Antonow-Flieger wieder dicker werden.
Die AN-124 ist das einzige einsetzbare Flugzeug für so genannte Problemtransporte des Großanlagenbaus. Das sind Teile mit mehr als 100 Tonnen Gewicht oder 25 Meter Länge. Allein in Deutschland gibt es davon rund 300 im Jahr.
Deren Durchschnittsgeschwindigkeit, so ergab eine Marktanalyse des Verbandes des Deutschen Maschinen- und Anlagebaus (VDMA), beträgt auf den gewöhnlichen Transportwegen (Bahn, Lkw, Schiff) 8,4 Kilometer pro Stunde. Die Antonow schafft 865 Kilometer pro Stunde. Zeit ist Geld. Schnelligkeit spart Kosten. In diese Marktlücke ist die AN-124 geflogen.
Der russische Lastenjet ist nicht nur die schnellste und stärkste Transportmaschine. Sie ist eine richtige Geldmaschine. Jedes Jahr fliegt sie für ihre Betreiber viele Milliarden Euro ein. Eingesetzt wird sie von den russischen Luftfahrtunternehmen Wolga-Dnjepr-Gruppe und Polet Airlines sowie der ukrainischen Antonow Airlines, die ihre Maschinen von der russischen Armee gekauft haben, weil das Militär unter akutem Geldmangel leidet und zudem stark verkleinert wurde.
Die Wolga-Dnjepr-Gruppe und ihre Partnerunternehmen sind in der Branche der Schwer- und Großfracht mit einem Marktanteil von rund 56 Prozent weltweit führend, sie wickeln mehr als 95 Prozent ihrer Flüge außerhalb Russlands ab. Rund 900 Flughäfen in
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140 Ländern fliegendie Megamaschinen an. Oft arbeiten die Piloten im Zwei-Schicht-System. Von den insgesamt 56 seit 1982 in den Dienst gestellten Riesenvögeln sind derzeit 49 am Himmel unterwegs. Vier stürzten ab, drei wurden stillgelegt.
TRAUMMASSE: 120 TONNEN PASSEN
IN DEN LADERAUM
36,5 x 6,40 x 4,40. Länge, Breite, Höhe. Das sind die Abmessungen des imposanten, gut gepolsterten und beheizbaren Frachtraums. Für Transportfachleute sind das Traummaße.
Seine Fracht kann der Superlastenesel in bis zu 11.500 Meter Flughöhe stemmen. An Leistungskraft und Fassungsvermögen des Kraftprotzes reichen selbst die größten zivilen Cargomaschinen von Boeing (Dreamlifter, fasst nur 68 Tonnen Fracht) oder Airbus (Beluga, 47 Tonnen) nicht einmal annähernd heran. Auch keine andere Militärtransportmaschine kann es mit der Antonow aufnehmen: Die Boeing C-17 kriegt gerade mal 77,5 Tonnen mit, in den von seinen Ausmaßen eher bescheidenen Stauraum des noch in der Entwicklung befindlichen Airbus 400 M, dessen Prototyp in Kürze und mit fast zwei Jahren Verspätung zum Erstflug abheben soll, werden nur 37 Tonnen passen. Und die Transall C 160, die auch für die deutsche Luftwaffe im Einsatz ist, schafft schlappe 16 Tonnen von einem Ort zum anderen. Schweres Kriegsgerät kann damit nicht in die Einsatzgebiete geflogen werden.
In den Bauch der AN-124 dagegen passen gleich mehrere Kampfpanzer, Supergeländewagen (Hummer), Haubitzen,
Bulldozer, Pipelines, Bohrtürme, sogar Kühlaggregate und Kraftwerksgeneratoren, Lokomotiven und Bahnwaggons - oder auch ganze Rinderherden. Fast alles, was groß, schwer, sperrig ist und es sehr eilig hat.
Der bedeutendste Vorteil der Antonow gegenüber der Konkurrenz um die Lufthoheit im milliardenschweren Markt der Großraumtransporte: Weil ihr Bauch so gewaltig ist, muss die Ladung nicht aufwändig und zeitraubend in Einzelteile zerlegt werden, sondern kann meist in einem Stück verladen und verschickt werden. Alles dafür Notwendige wie Schiebekräne und Seilwinden, selbst die bis zu 21-köpfige Verladecrew befinden sich stets an Bord der Maschine, die auch eine fliegende Herberge für die Crew ist. Die Mannschaft wohnt ähnlich beengt wie eine U-Boot-Besatzung.
Ein weiterer Vorteil des Superschwergewichts ist, dass es mit vollem Bauch auch auf sogenannten Feldflugplätzen am Ende der Welt landen kann, auf vernachlässigten Landebahnen wie auf hart gefrorenem Schnee. Weil es ein so robustes Fahrwerk mit insgesamt 24 Rädern besitzt und nur relativ kurze Start- und Landebahnen (2000 bis 3000 Meter reichen aus) benötigt. Zudem kann die AN-124 die Radpaare vorne und hinten zum Be- und Entladen hydraulisch absenken. Sie verfügt an Bug und Heck über vierteilige Ladeklappen/Rampen. Die AN-124 kann also auch die Schnauze ganz weit aufreißen, somit Fracht und Fahrzeuge hinten und vorne in die Kabine ein- und ausfahren lassen. Das macht sie flexibel. Und einzigartig.
"Wir wollen unsere nagelneue Metro so schnell wie möglich
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nach Delhi schaffen, um sie dort, bevor wir mit den weiteren bereits bestellten gut 450 Waggons in die Endproduktion gehen, in der harten Praxis auf dem indischen Schienennetz zu testen", erklärt Stephan Krenz, 43, Deutschlandchef von Bombardier Transportation, auf dem regennassen Rollfeld des Parchimer Airports unweit von Schwerin.
WENN IN PARCHIM DIE METRO IN DIE LUFT GEHT
Bombardier hat die Metro im Görlitzer Werk gebaut: "Die einzige Möglichkeit, die Waggons am Stück ganz schnell nach Indien zu bekommen, ist der Transport mit der Antonow.
In kein anderes Flugzeug passen die Wagen hinein. Ein Schiff wäre zwar wesentlich preisgünstiger, aber für unsere Zwecke viel zu langsam. Diese Antonow landet morgen Mittag bereits in Delhi. Drei weitere Waggons werden in den nächsten zwei Wochen folgen, somit haben wir dann einen ganzen Zug dort. Und wissen in Kürze schon, ob es an den Waggons noch etwas zu verbessern gibt oder nicht. Das bringt uns in den Planungen weit nach vorne. Das Ganze spart uns gegebenenfalls Millionen von Euro."
Kaum ist die vierstrahlige AN-124 auf dem ehemaligen sowjetischen Militärflughafen nahe der mecklenburg-vorpommerischen Landeshauptstadt Schwerin gelandet, wird die weiß-hellblau gestrichene Großschnauze senkrecht nach oben geklappt, somit die Ladeluke geöffnet, der Bug hydraulisch gesenkt. Die sechsköpfige Cockpit-Crew hat ihren Job jetzt getan, kann nun in den winzigen, fensterlosen Zwei-Mann-Kabinen, die gleich ans Cockpit im Oberdeck angrenzen, ein paar Stunden schlafen.
Jetzt macht sich die russisch-ukrainische Verladecrew an die Arbeit. Sie wird beobachtet und bestaunt von etwa zwei Dutzend Pressevertretern und gut 100 mit Kameras bewaffneten Zuschauern. Die Fans sind selbst aus Berlin und Hamburg angereist und haben sich für dieses atemberaubende Großereignis hinter dem Airportzaun postiert.
Eine flach abfallende Rampe wird gebaut, darauf werden Schienen verlegt. Das dauert etwa drei Stunden. Dann heben zwei Kräne den Metrowaggon – knapp 45 Tonnen schwer, 23 Meter lang, 4 Meter hoch und 3,5 Meter breit, vom Tieflader auf die Schienen. Die routinierte, eingespielte Verladecrew arbeitet mit einer guten Portion Augenmaß. Jeder Handgriff sitzt. Unfälle sind selten.
Armdicke Seilzugwinden bugsieren den silberblinkenden Metrowaggon ganz langsam ins Innere des fulminanten Frachtjets. Obwohl zwischen Metrodach und Laderaum nur ein paar Zentimeter Luft sind, wirkt die U-Bahn fast ein wenig verloren in dem gewaltigen Bauch der Antonow.
Wäre der Frachtraum nur einen halben Meter breiter, würde auch noch ein zweiter Waggon hineinpassen. "Vom Gewicht her gar kein Problem. Der Flieger würde sogar drei solcher Waggons sicher in die Luft bringen. Und auch wieder runter", erklärt der diensthabende Ingenieur.
Um 18.45 Uhr ist der planmäßige Takeoff. In wenigen Stunden wird die Antonow mit der Metro in Delhi landen, sie auf den bereitstehenden Tieflader verfrachten und anschließend gleich wieder zurück nach Parchim fliegen, um den zweiten Waggon abzuholen.
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Was so ein Schwerlastflug in die indische Hauptstadt kostet, darüber haben die beteiligten Unternehmen Stillschweigen vereinbart. "Schon eine satte sechsstellige Eurosumme", verrät jemand von der Antonow-Crew augenzwinkernd.
LUFTHOHEIT: MILLIARDENAUFTRAG VON DER NATO
Noch größer sind die Summen, die sich momentan mit dem Transport von schwerem Kriegsgerät einfliegen lassen. Amerikaner, Kanadier und Briten lassen – mangels eigener geeigneter Militärfrachttransporter – schon lange einen Großteil ihrer Kriegstechnik mit den AN-124 des ehemaligen Gegners in den Irak, nach Afghanistan und in andere Krisengebiete dieser Welt fliegen. Und auch wenn die Vereinigten Staaten in naher Zukunft ihre gewaltigen Truppenkontingente wie geplant aus dem Irak abziehen und weitere 17.000 GIs in Afghanistan stationieren werden, sollen die russisch-ukrainischen Megaflugzeuge viel von der Fracht für die größte Militärmacht der Welt übernehmen.
2006 hat die russische Wolga-Dnjepr-Group gemeinsam mit den ukrainischen Antonow Airlines zudem einen Großauftrag der Nato an Land gezogen. Um den Milliardenauftrag des Militärbündnisses hatten sich auch der europäische Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS, Boeing sowie Lufthansa Cargo bemüht. Doch gegen die AN-124 hatten Boeing und Airbus keine Chance.
Mindestens bis 2012 werden die Antonows nun – ganz offiziell – die schwere „Friedensmissions“-Technik der Nato rund um den Globus chauffieren. Zwei AN-124 stehen dafür stets auf dem
Airport Leipzig-Schkeuditz bereit, vier weitere Maschinen sind innerhalb weniger Tage verfügbar. Somit ist Leipzig mittlerweile der bedeutendste militärische Umschlagplatz für die Nato. Binnen fünf Tagen sollen von hier aus die schweren Kriegswaffen der Nato Response Forces (NRF) an jeden Punkt der Erde verlegt werden können. Abgewickelt wird der Milliardenauftrag von der Ruslan-Salis, einer deutschen Tochterfirma der Wolga-Dnjepr-Gruppe.
Allein das deutsche Verteidigungsministerium nutzte im vergangenen Jahr weit mehr als 1000 Flugstunden von Ruslan-Salis. Ein Flug mit der AN-124 von Deutschland nach Afghanistan beispielsweise kostet dabei rund eine Viertel Million Euro.
Auch der Bundesgrenzschutz forderte schon die AN-124 an: Bevor im vergangenen Sommer fünf in Ägypten entführte Deutsche von ihren Kidnappern freigelassen wurden, hatte der Krisenstab in Berlin eine „robuste Lösung“ vorbereitet: die Operation Desert Fox. Innerhalb von 36 Stunden wurden unter anderem mit zwei angemieteten Antonow-Frachtflugzeugen 150 schwer bewaffnete Einsatzkräfte der GSG 9, drei Bundespolizeihubschrauber, zwölf Geländefahrzeuge, große Mengen an Munition und Kerosin sowie eine autarke Infrastruktur der Bundespolizei und des Technischen Hilfswerks nach Ägypten geflogen.
Jetzt planen Russland und die Ukraine, ihren Überflieger wieder in Serie zu bauen. Für die erste Phase der Serienfertigung, die 2010 beginnen wird, haben die Wolga-Dnjepr-Gruppe und Antonow Airlines Investitionen von gut 400 Millionen US-Dollar eingeplant. Hintergrund der Pläne sei die enorme Nachfrage auf dem
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weltweiten Schwerfrachtmarkt, sagt Alexej Isaikin, Präsident der Wolga-Dnjepr-Gruppe.
Die Maschinen sollen neue Bremsen, Reifen und Navigationssysteme erhalten. In das Cockpit kommt noch mehr Hightech. Der Frachtraum wird noch ein Stück größer. Die maximale Last erhöht sich um 30 Tonnen. Das neue Riesenflugzeug wird rund 120 Millionen Dollar kosten.
In der ersten Projektphase sollen bis zum Jahr 2027 gut 50 Maschinen abgesetzt werden, weitere 30 bis 2035. Für die zweite Projektphase sind schon jetzt Investitionen von einer Milliarde Dollar geplant.
Wenn alles nach Plan verläuft, wird die Antonow auch in den kommenden Jahrzehnten der Weltmeister über den Wolken bleiben. Bis jetzt jedenfalls ist noch kein einziger ernsthafter Herausforderer in Sicht.