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Baustelle Hamburg: Den Schwarzarbeitern auf der Spur / Die Welt (eine Seite) / 2011

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Baustelle Hamburg: Den Schwarzarbeitern auf der Spur
Unterwegs mit einer Spezialeinheit des Zolls - Festnahmen gibt es regelmäßig auch dort, wo die Stadt selbst Bauherr ist, zum Beispiel in Wilhelmsburg
Fotos: Roland Magunia und Jörg Heuer
Ganz früh am Morgen versammelt sich die Spezialtruppe des Zolls im dritten Stock ihres Dienstgebäudes in Hammerbrook. Die 23 Männer und vier Frauen von der Frühschicht der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) tragen bereits ihre Einsatzbekleidung: olivgrüne Uniform, schwere Stiefel, schuss- und stichsichere Weste. Am Gürtel tragen die sichtbar fitten Beamten neben der Pistole auch Pfefferspray. Handschellen gehören ebenso zur Ausrüstung wie schnittfeste und Leibesvisitations-Handschuhe aus dünnem Latex, das Diensthandy und Funkgeräte. Erfassungsbögen in albanischer, serbokroatischer, bulgarischer, rumänischer und noch einigen anderen Sprachen haben sie immer griffbereit. Im vergangenen Jahr haben die Zöllner allein in Hamburg 7345 solcher Erfassungsbögen von Schwarzarbeit-Verdächtigen ausfüllen lassen, in ganz Norddeutschland warten es 59 967.
Die Truppe macht schon auf den ersten Blick durchaus Eindruck. Ein paar richtige Muskelberge
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sind dabei. Mit Kleiderschrank-Kreuzen und Gewichtheber-Oberarmen. Mit denen möchte man besser keinen Ärger haben. Aber viele Schwarzarbeiter in Hamburg kommen nicht drum herum. Denn die insgesamt 83 Frauen und Männer der FKS melden sich bei ihren Routinekontrollen und Razzien natürlich nie an. Sie wissen selbst oft erst kurz vor Abmarsch, wohin die Reise geht. Sie setzen auf den Überraschungsmoment, sind plötzlich und unerwartet da: auf Baustellen, in Spielhallen, in Maler- und Lackierbetrieben, in Pflege- und Fuhrunternehmen, Gebäudereinigungsfirmen und Wäschereien, in Betrieben des Hotel,- Gaststätten- und Sicherheitsgewerbes.
Überall gibt es schwarze Schafe“, sagt eine Zollfahnderin mit streng zurückgekämmtem Haar: „Illegal Beschäftigte mit meist schlechten Deutschkenntnissen, keinen oder falschen Papieren.“ Allein im vergangenen Jahr deckte der Zoll bundesweit durch Schwarzarbeit entstandene Steuer- und Sozialversicherungsschäden in Höhe von 711 Millionen Euro auf, erklärt Regierungsrat Dreves (56), Chef der Hamburger FKS. Und das ist nur die offizielle Zahl, die in den Jahresstatistiken auftaucht. Die Dunkelziffer liegt viel höher, wohl weit im zweistelligen Milliardenbereich. Da sind sich alle hier an diesem frühen Morgen versammelten Zollfahnder einig. Die Schwarzarbeit, gegen die sie in ihrem Job täglich kämpfen, ist längst zu einem gesellschaftlichen Problem geworden.
Zollamtmann Schmidt (43), kurz geschorenes Haar, beeindruckend groß und muskulös, ist Einsatzleiter des Spezialkommandos.
Um punkt sieben Uhr eröffnet Schmidt mit lautem Räuspern die Einsatzbesprechung. „Heute machen wir eine Großbaustelle in Wilhelmsburg“, sagt er, in die Runde blickend. Vorermittlungen haben ergeben, dass dort, wo Räumlichkeiten für die Hamburger Verwaltung entstehen, viele ausländische Arbeitnehmer beschäftigt sind. Etwa 60 Portugiesen, mehrere Slowenen und ein paar Rumänen. „Da fahren wir heute also als Erstes hin und gucken mal“, sagt Schmidt lächelnd. „Wenn danach noch Zeit bleibt, statten wir einer kleineren Baustelle nahe der Mönckebergstraße noch einen Überraschungsbesuch ab. Auf geht’s.“
Sieben Fahrzeuge setzen sich in Bewegung. Zwei Beamte von der Ausländerbehörde begleiten an diesem Morgen das Zollkommando. An manchen Ampeln wird das Blaulicht angeschaltet, damit der Fahrzeugtross zusammenbleibt.
Verdammt, da hinten machen ein paar Arbeiter flinke Hufe“, flucht ein Zöllner und deutet auf eine Böschung am Rande der Baustelle. „Ein ganzer Schwarm Schwarzarbeiter geht uns durch die Lappen. Aber wir können nichts dagegen tun. Um die ganze Baustelle zu umstellen, haben wir einfach zu wenige Leute. Selbst wenn wir bei der FKS doppelt so viele Beamte hätten, würde sich garantiert niemand über zu wenig Arbeit beschweren können.“ Die meisten seiner Kollegen durchkämmen derweil schnellen Schrittes das unübersichtliche Gelände.
Die Schwarzarbeiter-Jäger kontrollieren Werkverträge, Personallisten und die Papiere der Arbeiter.
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Gibt es nichts zu beanstanden, geben sie dem Arbeiter eine grüne Karte. Er kann weiter schuften. Innerhalb weniger Minuten schnappen die Zöllner mehrere Verdächtige. Einer sagt, er komme aus Palästina, habe jedoch keine Papiere, keine Wohnadresse, schlafe in der Moschee am Hauptbahnhof. Ein anderer gibt an, er habe in einer Wohnung in Mümmelmannsberg belgische Dokumente und stamme aus Albanien. Drei andere, von Zöllnern im dunklen Keller aufgegriffen, wo sie sich versteckt hielten, stammen ebenfalls aus Albanien, sagen sie. Arbeitserlaubnis, Gehaltsabrechnung, gültige Papiere? Fehlanzeige. „Wo ist der Chef?“, fragt Einsatzleiter Schmidt. Die Antwort ist Schweigen und Schulterzucken. Die Männer in den Bauarbeiterklamotten füllen die Erfassungsbögen aus und werden dann von der Polizei abgeholt. Sie sind jetzt Verdächtige, Vorgänge, die untersucht und bearbeitet werden müssen. Abschiebehaft und Ausweisung erwartet alle fünf, glaubt Einsatzleiter Schmidt. Und der deutsche Bauleiter, der ganz offensichtlich nicht weiß, wer da eigentlich auf seiner Großbaustelle malocht, hebt die Schultern: „Ich verlasse mich auf meine Subunternehmer.“ „Klar“, klagt ein Zöllner. „Und die Subunternehmer versubben immer weiter. Es wird getrickst, getäuscht, beschissen und weggeguckt. Hauptsache billig. So läuft das heute auf dem Bau.“
Der Rest des Tages geht für „Papierkrieg“ drauf. Die Behördenmaschinerie läuft an. Die Aufgegriffenen müssen abgearbeitet, in Abstimmung mit der Polizei Verhöre geführt, Verfahren gegen sie selbst, die Bauleitung oder die Subunternehmer, eventuell auch staatsanwaltliche Ermittlungen eingeleitet werden.
Auch auf der Baustelle nahe der Mönckebergstraße entwischen den Zollfahndern in der ersten Minute nach ihrem plötzlichen Eintreffen ein paar vermeintliche Schwarzarbeiter. Sie schlüpfen flink durch den Bauzaun, verschwinden in der Menge. Andere werden gefasst: drei Mazedonier. Sie haben zwar Pässe, aber keine Arbeitserlaubnis. „Weil sie jedoch ganz offensichtlich hier arbeiten, machen sie sich quasi illegal“, erklärt Einsatzleiter Schmidt. Wie viel sie verdienen, wer ihr Chef ist? Sie wissen es nicht. Krankenversicherung? Keine. Und der für die Baustelle verantwortliche Bauleiter? Sagt auch nur, er verlasse sich auf seine Subunternehmer und könne auf der Baustelle ja keine Ausweiskontrolle einführen. Durch die Razzia ist es zwar zu Verzögerungen auf der Baustelle gekommen. Ein paar Billigarbeiter fehlen. Aber Nachfolger sind vermutlich längst rekrutiert. „Und niemand von den Verantwortlichen auf der Baustelle wird so ganz genau hinschauen, ob die neuen Arbeitskräfte auch wirklich keine Schwarzarbeiter sind“, sagt ein Zöllner.
Weil noch Zeit für eine weitere Razzia ist, geht es gleich weiter zur nächsten Baustelle. An der Finkenau in Uhlenhorst entsteht ein neuer Kindergarten. Auch hier: Alle Bauarbeiter sind Südosteuropäer. Aber sie haben gültige Papiere. Alles in Ordnung so weit. Nur einer ist verdächtig. Er hat eine finnische ID-Karte und sagt, er sei Serbe. Eine Fahnderin checkt die ID-Karte unter einem Spezialgerät mit UV-Licht. Die Karte ist eine Fälschung. Der vermeintliche finnische Serbe kommt in Untersuchungshaft.
Auf dem Weg zurück nach Hammerbrook erzählt Regierungsrat Dreves, der Chef der Zoll-Spezialeinheit gegen Schwarzarbeit,
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noch eine Anekdote: „Einmal putzten plötzlich neue Fensterputzer die Scheiben unseres Dienstgebäudes. Das kam mir verdächtig vor, und wir baten die Reinigungskräfte, eine kleine Pause zu machen. Nach Ansicht der Papiere war für die Fensterputzer Feierabend.“ Sie waren Schwarzarbeiter und kamen in Abschiebehaft.