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Beichte to go / Hamburger Abendblatt (eine Seite) / 2010

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Beichte to go
Der katholische Pater Hermann-Josef Hubka soll mit seinem Beichtmobil Menschen erreichen, die nicht zur Kirche gehen. Er ist Erste-Hilfe-Station für Verzweifelte
Fotos: MARTIN MAGUNIA
Mario hat diesen Tunnelblick, wie ein Boxer vor dem Kampf. Er tippelt auf der Stelle. Sein rundliches Gesicht ist rot angelaufen, die Hände zittern wie Espenlaub. Die Stimme auch. Doch der 20-Jährige atmet mitten auf dem Friedensplatz im nordrhein-westfälischen Goch stehend noch einmal entschlossen durch. „Jetzt oder nie“, sagt der Aushilfs-Jobber aus dem nahen Pfalzdorf. Dann geht er in Richtung des weißen VW-Wohnmobils, auf dem in roten Buchstaben Beichtmobil steht. Und darunter: Versöhnung mit Gott und den Menschen. Pater Hermann-Josef Hubkas rollender Beichtstuhl ist der einzige seiner Art in Deutschland, wohl der einzige in Europa.
Mario hat erst gestern von einem Nachbarn erfahren, dass es das Beichtmobil gibt. Dass es für ein paar Tage ganz in der Nähe steht. Nun will er um Vergebung seiner Sünden bitten, obwohl Gott und Kirche gar nicht sein Ding seien, sagt er. „Ich bin ein Problemkind, völlig fertig mit mir und der Welt. Ich habe alles in den Sand gesetzt:
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die Beziehung zu meiner Freundin und meiner Tochter. Schule und Ausbildung. Das Verhältnis zu meinen Eltern, die mich nur noch Verlierer nennen. Ich kenne keinen, mit dem ich reden kann. Ich habe Angst, als Penner unter der Brücke zu landen. Vielleicht ist die Beichte mein Rettungsanker. Hoffentlich wird mir vergeben.“ Mit diesen Worten tritt Mario an den weißen Bulli.
Pater Hubka hat etwas von Lenin und Jack Nicholson
Drinnen auf der schmalen Bank am Campingtisch sitzt der Pater mit lässig übereinandergeschlagenen Beinen. Er ist gut einssiebzig groß, hat wache, helle Augen, die Blickkontakt suchen.
Der Vielfahrer, 52, der in einer „winzigen Mönchszelle“ im badischen Kloster Waghäusel wohnt, wenn er nicht mit dem Beichtmobil zwischen Hamburg und Rosenheim unterwegs ist, trägt schwarze Schuhe, schwarze Jeans und schwarzes Hemd. Der grau melierte Vollbart wuchert wild aus dem verschmitzt lächelnden Gesicht des katholischen Augustiner-Paters.
Wenn er zuhört, sieht er ein bisschen so aus wie der russische Revolutions-Vater Wladimir Iljitsch Lenin. Wenn er spricht und gestikuliert, ähnelt er äußerlich dem US-amerikanischen Schauspieler Jack Nicholson. Besonders von der Seite, wenn er den Kopf schräg und die Stirn in Falten legt. Er wirkt wenig pastoral, hat Humor und lacht auch mal über sich. „Kommen Sie ruhig rein“, sagt der Ordensbruder mit ausgebreiteten Armen und breitem Grinsen zu Mario. „Hier drin ist alles okay. Und ich beiße nicht.“
Ein Wanzenscanner gehört zur Ausstattung des Beichtmobils
Drinnen auf dem Tisch brennt eine Kerze, daneben liegen die Bibel, das Holzkreuz – und ein goldenes, aufklappbares Motorola-Handy, das Hubka jedoch schnell mit den Worten „Mein heißer Draht nach ganz oben“ in der Hosentasche verschwinden lässt. Hinter der Sitzbank hängt ein Heiligenbildchen am Bordschrank, der vor dem Umbau des Campingbusses zum Beichtmobil mal die Toilette war. Das Bild heißt „Maria Knotenlöserin“. Um Knotenlösen geht es ganz oft in Pater Hubkas Beichtbus. Wie jetzt bei Mario, der stocksteif am Tisch hockt. Sein Blick geht auf den Miniherd, die Spüle und den Kühlschrank, in dem der mobile Geistliche auch eine Hostienschale und Messwein aufbewahrt. Der Pater zieht die Gardinen zu und schließt ganz sacht die Tür: „Beichtgeheimnis.“ Um dies in jedem Fall zu schützen, gehört sogar ein Wanzenscanner zur Ausstattung seines Beichtmobils.
Nach etwa einer Stunde geht die Tür des VW-Busses wieder auf. Die nervöse Röte aus Marios Gesicht ist verflogen. Er lächelt, wirkt erleichtert. In seiner Hand hält er eine Streichholzschachtel-große „Prayer-Box“ für unterwegs in Bahn, Flugzeug und Auto. Inhalt: ein Fläschchen Weihwasser, der Rosenkranz, ein kleines Kreuz und ein Zettel mit ein paar Grundgebeten. In Deutsch, Englisch und Italienisch. Das schenkt der Pater allen, die ins Beichtmobil kommen. Wie ein Banker, der Kugelschreiber an Kunden verteilt.
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Endlich hat mir jemand zugehört. Ich habe mein Leben vor dem Pater ausgebreitet“, sagt Mario. „Er hat mir zwei Stellen aus der Bibel vorgelesen, viele Fragen gestellt, Ratschläge gegeben. Ich soll nichts mehr in mich hineinfressen. Mit meinen Eltern über meine Probleme reden. Und wenn mir so ist, auch mit Gott. Der ganze Frust ist plötzlich weg. Ich habe wieder Hoffnung.“
Dann schnappt sich Mario sein Fahrrad. Er hat es plötzlich sehr eilig, will schnell nach Hause. Mit den Eltern „Frieden schließen“. Und eine Bewerbung schreiben. Die erste seit einem Jahr und zwei Monaten. An die Stadtverwaltung von Goch. Das hat der Pater ihm geraten. „Die nehmen dich. Und wenn nicht die, dann ein anderer“, hat er gesagt und ihm dabei die Schulter getätschelt. „Du bist ein guter Junge.“ Besonders die letzten Worte gingen Mario runter wie Öl.
Er sammelt auf Raststellen und vor Supermärkten seine Schäflein ein
So eine richtige Beichte sei das gar nicht gewesen, eher ein SeelsorgeGespräch, erklärt der Pater später. Er freue sich, dass er „einem jungen Mann, der anscheinend den Glauben an die Gesellschaft verloren hat“, helfen und vielleicht sogar den Glauben an Gott ein wenig schmackhaft machen konnte. Pater Hubka hofft, dass Mario in Zukunft vielleicht mal hoch zum Himmel guckt, in eine Kirche schaut oder in der Bibel blättert: „Bei dem, was ich mache, geht es natürlich auch darum, unterwegs auf den Straßen, in den Städten und Dörfern die verirrten Schäflein einzusammeln.“
Mittagspause. Hubka hat „Riesendurst“ und „Bärenhunger“. Auf Cola und auf Bratwurst mit Kraut, Pommes mit Mayonnaise an der Imbissbude. Die Cola müsse neben eiskalt auch light sein, „wegen der Figur“: „Wir alle müssen Buße tun“, stöhnt der Pater, kopfschüttelnd auf seinen Bauch deutend.
Das Beichtmobil – Baujahr 1996, 68 Pferdestärken, Höchstgeschwindigkeit 130 km/h („Aber nur bei Rückenwind und den Berg hinunter“), fast 200 000 Kilometer gefahren, über den ADAC versichert – wurde 2004 von Papst Johannes Paul II. gesegnet und kurz darauf von Bischof Walter Mixa, der bis zu seinem Rücktritt wegen Misshandlungsund Veruntreuungsvorwürfen in diesem Frühjahr auch Schirmherr des rollenden Beichtstuhls war, auf die Reise geschickt. Um Menschen zu erreichen, die sonst einen großen Bogen um die Kirche machen. Die vom Glauben abgefallen, auf der Suche sind oder die Anonymität des Beichtmobils nutzen und sich von einer Last befreien wollen.
Hubka, der mal drei Jahre in Australien, ein halbes Jahr in Tansania und mehrere Monate in Sibirien gelebt hat, war in Deutschland von der Nordsee bis zu den Alpen schon fast überall: Er parkt sein Beichtmobil auf Zeltplätzen, Autobahnraststätten und Marktplätzen. Er steht in Ferienstaus, vor Ski-Liften, Fußballstadien, Universitäten, Supermärkten, Rathäusern, Messehallen. In Mannheim stand er mal in einer Parklücke vor Rotlicht-Etablissements. Mehrere Stunden blieb er dort, führte „gute Gespräche“. Beichten wollte allerdings niemand aus den umliegenden Bars und Bordellen.
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Nebenher macht er auch Werbung für das dem Papst unterstellte Hilfswerk „Kirche in Not“. „Ich möchte, wenn ich meine Reiseroute plane, immer möglichst viele Leute erreichen“, sagt Hubka, während er sich noch mehr Mayonnaise auf die Pommes quetscht. „Alle sind mir im Beichtmobil willkommen. Mit oder ohne Konfession. Und ob das dann Beichte, Seelsorge oder einfach Gespräch über Gott und die Welt heißt, ist mir ehrlich gesagt ziemlich wurscht.“
Er habe keinen Zähler installiert, aber etwa 1000 Menschen hätten in den sechs Jahren bislang in seinem Camper „richtig gebeichtet“. Gute Gespräche habe er Tausende geführt, schätzt Hubka: „Ein echter Dauerbrenner bei den Beichten sind die Abtreibungsgeschichten. Ehebruch, Fahrerflucht und Kriegserlebnisse. Aber auch Drogensucht, Spielschulden, Bankraub, das gibt es alles.“ Oft sei das Beichtmobil so was wie eine Erste-Hilfe-Station für Getriebene, Gebeugte und Verzweifelte. Aber auch Kinder wollen beichten. „Die bringen so Sachen wie: ‚Ich habe bei der Klassenarbeit abgeschrieben.‘ Oder: ‚Ich habe der Lehrerin die Zunge gezeigt.‘“
Gucken, staunen, tuscheln und faule Eier in Berlin
Der nächste Tag. Die Sonne scheint auf den Friedensplatz von Goch herunter. Immer wieder bleiben Leute vor dem Beichtmobil stehen. Sie gucken, staunen, tuscheln, fotografieren. Manche blättern in den Info-Broschüren, die der Pater auf einem Campingtisch vor dem VW-Bus ausgelegt hat. Einige gehen auch rein in die Minikirche auf vier Rädern. Jan-Emanuel Lis zum Beispiel.
„Ich bin zwar kein Kirchengänger, aber für die Kirchengemeinde noch nicht ganz verloren. Also bin ich haargenau und messerscharf die Zielgruppe des Paters“, sagt der Programmierer, 50, verheiratet, zwei Kinder, als er nach einer guten halben Stunde wieder aus dem Beichtmobil herauskommt. „Ich habe viele kritische Fragen, was Gott betrifft. Und ich höre mir gerne Argumente an. Mit dem Pater ist ein ungezwungener, inspirierender Gedankenaustausch möglich. Das gefällt mir. Ich bleibe am Ball.“
Hubka lehnt sich zufrieden zurück. Er nimmt einen tiefen Zug aus der Wasserflasche und öffnet die obersten beiden Knöpfe seines schwarzen Hemdes. Wie wirken sich eigentlich die jüngsten Kirchenskandale auf seine GottesDienstreisen quer durch Deutschland aus? „Ich finde es sehr schlimm, dass solche grausamen Sachen wie Missbrauch und Misshandlung in unseren Kreisen vorkommen. Aber es wird immer wieder passieren, dass Menschen sündigen. Dagegen ist kein Kraut gewachsen“, sagt er. „Ich persönlich mache aus gutem Grund meinen Glauben an Gott fest, nicht an Menschen.“
Auf seinen jüngsten Reisen merke er, dass die Zeiten viel rauer geworden sind. In Berlin habe neulich jemand sogar mal ein faules Ei auf das Beichtmobil geworfen. Und er habe eine Menge neuer Schimpfwörter gelernt in den vergangenen Monaten.
Der Papst sei ein Sittenstrolch, rief ihm ein Lkw-Fahrer durch die heruntergelassene Scheibe auf der Autobahn bei zäh fließendem Verkehr zu. Bischof Mixa gehöre als Erster ins Beichtmobil, meinte ein Passant vor Lidl in Hameln.
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Und in Chemnitz, wo Hubka sein Beichtmobil in der Innenstadt parkte, blaffte einer sogar: Ihr gehört alle auf den Scheiterhaufen.
Pater Hubka packt zusammen. Das dauert keine fünf Minuten. Die Reise geht weiter. „Ich hoffe nur, dass wir alle von weiteren Kirchenskandalen verschont bleiben“, sagt er noch. Dann stellt er im Autoradio einen Nachrichtensender ein und braust davon. Schäflein einsammeln.