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Edles Geflügel / Playboy (8 Seiten) / 2012

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Edles Geflügel
Lebenstraum und Legende, geniale Geldanlage und atemberaubendes Auto: Der Mercedes 300 SL wird in diesem Frühjahr 60 Jahre alt. Wir haben Männer besucht, die den Sportwagen des Jahrtausends fahren
Foto: David Klammer
Hans Kleissls Mercedes hat zwar Flügel, doch ein Engel ist er nicht. Der 300 SL faucht bei Vollgas wie eine Urgewalt und wird auf der Autobahn zum Porsche-Killer. Kleissl macht sich gern einen Spaß draus, mit seinem Oldtimer, der exakt so alt ist wie er selbst, nagelneue Sportwagen abzuhängen. Tempo 260 ist möglich. „Viele bleiben mit offenem Mund zurück“, sagt der 58-Jährige.
Mit seiner Restaurierungs- und Reparatur-Manufaktur im bayerischen Polling hat sich Kleissl ganz auf den 300 SL spezialisiert. Sein eigener mattgrauer Flügeltürer lief als eines von nur 1400 Coupés zwischen 1954 und 1957 vom Band. 29 besonders wertvolle Spezialanfertigungen haben eine Aluminiumkarosserie. Und auch von den Roadstern wurden zwischen 1957 und 1963 nur 1858 Stück gefertigt.
Der berühmteste Mercedes aller Zeiten debütierte vor 60 Jahren. Die unter der Regie von Rennleiter Rudolf Uhlenhaut entwickelten Prototypen standen für die Rückkehr
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der Marke in den Rennsport und galten als kleines Nachkriegswunder. Denn sie waren schnittiger als alles, was auf den Rennpisten damals unterwegs war. Entsprechend erfolgreich schnitten sie ab: Bei den 24 Stunden von Le Mans und selbst bei der mörderischen Carrera Panamericana in der Gluthitze Mexikos fuhren die W-194-Rennwagen 1952 auf die ersten Plätze. Ein Sensations-Comeback.
Dass in dem Traumauto jedoch auch kommerzielles Potenzial schlummern könnte, ahnten die Mercedes-Bosse lange Zeit nicht. Erst als der amerikanische Importeur Max Hoffmann die Serienfertigung anregte, wachten die Verantwortlichen auf. Hoffmann sah für den Flitzer mit den Flügeltüren in den USA einen Markt. Und er sollte Recht behalten. Der 300 SL wurde zur Ikone, weit über die USA hinaus. „Er verkörpert zeitloses Design, steht für Mercedes-Benz und die Markenwerte und gehört ohne Zweifel zu den schönsten Autos überhaupt“, sagt Gorden Wagener, 43, der heutige Designchef von Mercedes-Benz.
Erstmals der breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde der Supersportwagen 1954 auf der Motorshow in New York. Die verzückten Amerikaner tauften den 300 SL „Gullwing“, Möwenflügel. Toni Curtis, Clark Gable, Glenn Ford, Hugh Hefner, Romy Schneider, Ali Khan, Curd Jürgens, Gunter Sachs, Herbert von Karajan und Alfried Krupp gönnten sich den Luxus auf vier Rädern. Auch Yul Brynner, Sophia Loren, Gina Lollobrigida und Zsa Zsa Gabor fuhren auf die limitierten Klassiker ab. In Kinofilmen wie „Fahrstuhl zum Schafott“ oder „Drei Engel für Charlie“ hatten die Autos
ihren Auftritt. Eine Expertenkommission kürte den formschönen Flitzer 1999 zum „Sportwagen des Jahrhunderts“ - und somit auch des vergangenen Jahrtausends.
In den letzten Jahren sind die Preise in die Höhe geschossen. Von teuer auf sauteuer, um die zehn Prozent Wertzuwachs im Jahr, sagt 300-Restaurator Kleissl. Jüngst wurde in den USA ein seltener Aluminium-Flügeltürer für 4,62 Millionen Dollar versteigert. Mindestens 550.000, aber auch gern mal mehr als zwei Millionen Euro muss man aktuell bei Kleissl in Polling für einen top gepflegten, liebevoll restaurierten Flügeltürer oder Roadster auf den Tisch legen. War ein Ölscheich oder Prominenter unter den Vorbesitzern, treibt das den Preis weiter.
Kleissls eigener Flügeltürer ist ein ganz besonderer. Und unverkäuflich. Erstbesitzer war der Playboy der 40er- bis 60er-Jahre, Porfirio Rubirosa. Der Generalssohn war ein Profi im Reich-Einheiraten. Kurz war auch mal die Woolworth-Erbin Barbara Hutton seine Ehefrau. Marilyn Monroe und Evita Peron zählten zu seinen Geliebten. Seine Lebensphilosophie beschrieb der Frauenheld so: „Die meisten Männer wünschen sich nichts sehnlicher, als ein Vermögen zu verdienen. Ich will nur ein Vermögen ausgeben.“
Nach seinem Unfalltod erwarb eine Französin den Wagen aus Rubirosas Nachlass. Später landete er in London. Dort spürte Kleissl ihn auf. „Der Tank war rostig, die Karosserie aber okay“, erinnert sich der Bayer. Auf dem Nummernschild stand „300 HK 75“. HK wie Hans Kleissl. „Gutes Omen“, sagt Kleissl. Er kaufte den „Rubirosa“, machte ihn flott, erhielt alle Originalteile und die Patina:
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„Der Flügeltürer ist für mich das Auto. Besonders das Heck ist der Hammer. Ein Hinterteil zum Verrücktwerden.“

Das sieht Ton Cieraad genauso. Der 53 Jahre alte holländische Lebensmittelfabrikant aus der Nähe von Amsterdam fährt den lindgrünen Flügel, dessen Erstbesitzer ein anderer Playboy war: Gunter Sachs. Er hatte, schrieb Sachs in seiner Autobiografie „Mein Leben“, den Wagen 1956 als junger Mann ohne eigenes Einkommen bestellt. Die Rechnung ließ er seinem Vater schicken. Der war sauer über die Dreistigkeit des Sohnes, bezahlte aber trotzdem.
„Der Sachs-SL ist eine Schönheit, die bewegt werden will. Sie hat nichts Vulgäres, schafft nur positive Assoziationen“, sagt der fliegende Holländer. Bei den Leuten gehe immer der Daumen hoch, nie der Mittelfinger. Das Fahren mit dem Flügeltürer sei ehrlich und ursprünglich: „Ich verstehe nur nicht, warum ein Radio eingebaut ist. Gegen den Motorsound kommt keine Musik an.“
Chris Kramer, weltweit operierender Autoscout und zertifizierter Oldtimer-Gutachter, nickt wissend. Auch der 47-Jährige braucht kein Radio. Der Mann aus dem Kölner Umland lenkt einen elfenbeinfarbenen Roadster, der mal Rudolf „Karratsch“ Caracciola, dem 1959 verstorbenen Rennfahrer gehört hat. Der war so etwas wie Mercedes’ Vorkriegs-Schumi und mehrfacher Europameister. Noch heute hält er mit 432,7 km/h den Geschwindigkeits-Weltrekord auf öffentlichen Straßen.
Kramer und der Roadster - das „war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Kramer. Dass Caracciola der Erstbesitzer gewesen ist, weiß er erst seit zwei Jahren, weil er die Historie des Cabrios akribisch recherchierte und die Kopie der Auslieferungspapiere ausgrub: „Alles an dem Wagen ist original und aufregend. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, gehe ich in die Garage. Es macht mir Freude, die Instrumente anzufassen, Lederfett in die Sitze zu massieren, die Rundungen zu polieren.“
Auch andere 300-SL-Fahrer entwickeln bisweilen ein inniges Verhältnis zu ihrem fahrbaren Untersatz. Martin Semm zum Beispiel streift verliebt um seinen Flügeltürer herum. „Allein die Farbe“, schwärmt der hessische Unternehmer, 41, der in der Nähe von Kassel Tanklaster verkauft, „ist sie nicht der Wahnsinn?“ Die nicaraguanische Diktatorfamilie Somoza hatte einst das Erdbeerrotmetallic bestellt. So steht es im Registerbuch, in dem Semm blättert. Er findet die betreffende Seite schnell. Sein „Erdbeerchen“ wurde 1957 als zwanzigstletzter Flügeltürer gebaut. Der Somoza-Clan ist den Schlitten jedoch nie gefahren, sondern hat ihn einem US-Geschäftsmann überlassen.
Semms roter Renner hat bei seiner Rallye durch mehrere Besitzerhände viel von der Welt gesehen: Hawaii, Kanada, Mexiko, Australien. 2006 machte er Boxenstopp in Deutschland. Als sein Besitzer erblindete, kaufte Semm ihm den Wagen ab. „Wie besonders das Auto ist, welche Qualitäten es besitzt, sieht
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man erst, wenn man es fährt“, sagt Semm. „Im Drehzahlbereich bis 3000 klingt er dumpf und satt, über 3000 hat man das Gefühl, es hockt ein Ungeheuer unter der Motorhaube.“
Klaus Lehr sieht die Sache weit weniger emotional. Der 65 Jahre alte Multimillionär hat sein Vermögen in Afrika gemacht. 24 Jahre lang verkaufte er Flugzeuge. Heute residiert er entweder in Weinheim in einer Stadtvilla oder in Kitzbühel in einer Alpenvilla. Er hat ganz genaue Vorstellungen von dem, was in seine geräumigen Garagen kommt: „Das Einzigartige. Gern auch die eine oder andere Legende.“
Historische Boliden, mehrere 300-SL-Flügeltürer und -Roadster, auch Limousinen, Geländewagen und Sportflitzer der gängigsten Luxusmarken besitzt er. Das übliche Garagengold schwerreicher Männer mit Bleifuß und Benzin im Blut. Doch ein Gefährt sticht aus der Fahrzeugflotte heraus. Ein Silberpfeil. Heckflosse hinter dem Fahrersitz, eng nebeneinanderstehende Scheinwerfer, Startnummer 181. Es gibt diesen Wagen kein zweites Mal auf der Welt: den Mercedes SLS-Porter.
Die Geschichte des Geschosses ist spannend. Die amerikanische Rennsportlegende Chuck Porter hatte 1956 einen verunfallten 300-SL-Flügeltürer zum Rennwagen umgebaut und mit diesem SLS Porter Rallyes und Ruhm gewonnen. Der Mann und das Auto waren in den späten 50er- und frühen 60er-Jahren die Stars auf Amerikas Rennstrecken. Dann verschwand der SLS Porter in der Versenkung, rottete zuletzt in einer Lagerhalle in San Francisco vor sich hin. Aus der hat Klaus Lehr den ramponierten Renner teuer herausgekauft, nach Deutschland verschifft und in
Hans Kleissls Manufaktur flottmachen lassen.
Und dann ist er selbst an den Start gerollt: in den USA, England, Österreich, Italien, Belgien und Deutschland. 6000 Kilometer Rennstrecke hat der Süddeutsche schon abgespult. Was der Wagen wert ist? Klaus Lehr zuckt mit der Schulter. „Mehrere Millionen. Doch für mich ist der Preis ohne Bedeutung. Ich will Spaß. Und den habe ich mit dem Porter.“ Dann startet er durch. Ein paar Kilometer geht es durch Weinheim. In einem Tunnel klingt der SLS Porter wie ein Tyrannosaurus Rex. Nur böser. Und lauter.