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Ein Mann für viele Fälle / Playboy (4 Seiten) / 2010

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Ein Mann für viele Fälle
In Israel war er Elitesoldat und Spezialagent. Heute operiert er undercover an der deutschen und internationalen Wirtschaftsfront:
Frank Heyde ist von Beruf Problemlöser. Wir haben ihn getroffen
Foto: Günther Menn
Ein lautloser Schatten huscht durch den Wald. Unweit des Zaunes zum Fabrikgelände hechtet die dunkle Gestalt hinter einen Hügel ins Buschwerk. „Zielobjekt voll im Visier“, raunt der in rabenschwarze Kampfmontur gekleidete Schattenmann zufrieden: Springerstiefel, Handschellen, Schlagstock am Gürtel, Revolver im Halfter, Sturm-maske, Minikamera, Kompass, Pfefferspray, Gasmaske, Notration in den Taschen, Walkie-Talkie am Hals, Nachtsichtbrille vorm guerillamäßig geschwärzten Gesicht. Auf Stahlhelm und kugelsichere Weste hat er diesmal verzichtet. „Ich rechne nicht mit einem Schusswechsel.“
Wir sind nicht irgendwo in Afrika, Afghanistan oder Kolumbien. Wir sind in Deutschland. Und für den Mann in Schwarz ist es ein normaler Arbeitstag. Heyde heißt der Hüne, der aussieht, als sei er einem Computer-Ballerspiel entsprungen. Frank Heyde. Deutsch-Israeli, Einzelkämpferausbildung, gestählt in vielen Undercover-Missionen an vorderster Front. Er ist „Problemlöser“ von Beruf.
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Millionäre, Manager, Vorstände, Unternehmer, Chefs von KonzernSicherheitsabteilungen sind seine Auftraggeber. Führungskräfte der Industrie, die ein Problem haben und es gern aus der Welt hätten. Ohne Polizei, ohne Anzeige. Ein Problem mit der Konkurrenz, mit Mitarbeitern, Korruption, Datendiebstahl, Erpressung, Entführung, Sabotage, Industrie- und Wirtschaftsspionage, Imageschädigung, Produktpiraterie, Sektenunterwanderung, Psychoterror, Rufmord. „Ich beschaffe vertrauliche Informationen, checke Umfelder, Mitarbeiter und Geschäftspartner, enttarne eingeschleuste Spione und korrupte Manager, überführe Saboteure und Verräter, lege Fallen aus, biege Dinge wieder gerade. In dieser Grauzone bewege ich mich beruflich“, sagt der Mann für alle Fälle.
Das Haar ist kurz, der Blick scharf, der Händedruck fest. Er ist Kettenraucher und Kaffeesäufer. Mit Anfang 20 wurde er beim israelischen Militär zum Einzelkämpfer, dann zum Spezialagenten ausgebildet. In der Wüste könne er sich in einen Fels verwandeln, im Dschungel in einen Busch, im Rotlichtviertel in einen schmierigen Gangsterboss oder Bodyguard, im Bankenviertel in einen seriösen Nadelstreifen-Mann oder Putzkolonnen-Führer, sagt der 45-Jährige.
Für israelische Sicherheitsorgane war Frank Heyde bei „Undercover-Sessions“ in Syrien, Libyen, Saudi-Arabien, im Libanon und Jemen, „unsichtbar“ bei Wirtschaftsgipfeln und Vorstandsbesprechungen. Vor dem Mauerfall war er zudem Mitglied eines Spezialkommandos, das im Auftrag Israels insgesamt 178 Menschen „mit jüdischem Hintergrund“ aus der ehemaligen DDR geschleust hat. Die Stasi hat ihn per Haftbefehl gejagt, doch
nie gekriegt. Er hat sich den ostdeutschen Haftbefehl gleich nach der Wende besorgt. Er zeigt ihn gern vor. Ebenso ein bedrohlich unfreundliches Schreiben vom Department of Special Affairs (DSA), dem Geheimdienst der Scientology-Wirtschaftssekte. Die hat ihn schon lange zum Gegner erklärt, er kam ihnen zu oft in die Quere. Der Problemlöser geht nie ohne Sturmgepäck, Spurensicherungskoffer, Einbruchs- und Lauschequipment zur Arbeit. Weil er gerüstet sein will. Weil er immer auf den Kontakt mit „bösen Jungs“ gefasst sein muss.
Wie jetzt, in diesem Waldstück nahe Stuttgart. Heydes Auftraggeber: der Inhaber einer Autozulieferfirma. In der Fabrik werden Fahrzeugteile für deutsche Luxuslimousinen und italienische Sportwagen veredelt. 800 Angestellte. Jahresumsatz in dreistelliger Millionenhöhe. In letzter Zeit sind Waren im Wert von mehreren Millionen Euro verschwunden. Die Konkurrenz könnte dahinterstecken, um Lieferrückstände zu provozieren und den Zulieferer bei seinen Abnehmern in schlechtes Licht zu rücken. Oder handelt es sich um eine gut organisierte Diebesbande?
Außer dem Firmen- und dem Personalchef weiß niemand von dem nächtlichen Einsatz des Problemlösers. Kein Schichtleiter, kein Werkschützer. „Alle könnten mit den Dieben gemeinsame Sache machen“, sagt Heyde.
Die Karosserieteile der Luxusvehikel sind in den überdachten Regalen gleich hinter dem Zaun gestapelt. Frisch lackiert, bis 30.000 Euro teuer. Sie liegen dort wie auf dem Präsentierteller. Es gibt keine Wachhunde. Keinen Stacheldraht. Die Videokameras
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sind stümperhaft ausgerichtet. Der tote Winkel ist groß wie ein Scheunentor, der Zaun ein Witz.
Über Walkie-Talkie nimmt Heyde Kontakt zu seinen Mitarbeitern auf. Eine Frau und ein Mann haben sich keine 20 Meter entfernt im Busch verschanzt. Sie Polizistin beim Nebenjob, er Ex-Fallschirmjäger der Bundeswehr.
„Aufklärung kommt immer vor Action“, erklärt Heyde während der Wartezeit. Mal wird ein Tresor geknackt, mal ein Telefon angezapft, mal ein Hotelzimmer durchsucht, mal ein Wagen mit Peilsender präpariert. Hier heißt es vorerst nur warten.
In der ersten Nacht geschieht nichts. In der zweiten auch. Der Kaffee aus der Thermoskanne schmeckt wie Wischwasser, Kälte kriecht in die Knochen, keine Menschenseele.
In der dritten Nacht biegt plötzlich ein Kleinlaster von der Straße ab. Er fährt ohne Licht, parkt an einer Schneise, von der ein Trampelpfad zum Fabrikgelände führt. „Bingo“, flüstert Heyde hellwach. Über Funk gibt er seine Beobachtung weiter. Die Mitarbeiter bestätigen mit Doppelklick.
Zwei Männer springen aus dem Fahrerhaus, schleichen Richtung Firmengelände. Sie werden bereits gefilmt. Auch hinter dem Zaun tut sich etwas. Ein Gabelstapler rollt an die Stelle, wo der Zaun nur mannshoch ist. Als sich die Männer daranmachen, das wertvolle Diebesgut über den Zaun zu hieven, schreiten Heyde und seine Leute, die Gesichter jetzt unter Sturmhauben verborgen, entschlossen zur Tat: „Zugriff.“
Die schockstarren Gangster leisten beim Anblick der schwarzen, bewaffneten Gestalten mit den Furcht einflößenden Bankräubermasken keine Gegenwehr. Handschellen rasseln. Auf dem Firmengelände wird der verdächtige Gabelstaplerfahrer derweil vom alarmierten Werkschutz in die Mangel genommen. Als letztes zückt Frank Heyde eines seiner Handys und wählt zuerst die Nummer seines Auftraggebers, dann die 110.
Nachdem er dem Werkschutz die beiden Verdächtigen übergeben hat und noch bevor die Polizei eintrifft, ist der Job erledigt. Die Problemlöser ziehen zufrieden ab. Erst als sie außer Sichtweite sind, streifen sie ihre Masken ab. Sie haben jetzt nur noch ein Ziel: das nächste Hotelbett.
Sechs Stunden Schlaf, dann werden neue Aufträge in Angriff genommen: Einer von Heydes Leuten muss in eine Düsseldorfer Unternehmensberatung eingeschleust werden. Und ein Leipziger Ingenieurbüro soll observiert werden. Heydes Klient glaubt, dass sein Geschäftsführer dort in Kürze an einer Konferenz teilnehmen und Betriebsgeheimnisse an die Konkurrenz verkaufen wird. Wenn es dazu kommt, hätte er gern die Beweise. Heyde soll sie beschaffen. Er setze ein vierköpfiges Observationsteam und einen Techniker auf den Fall an, sagt er. „Alles ehemalige Stasi-Leute. Sind zwar nicht mehr die Jüngsten, aber verlässlich und folgsam wie gut dressierte deutsche Schäferhunde.“
Nach seiner israelischen Militär- und Agentenzeit hatte Heyde als Feuerwehrmann und Krankenwagenfahrer in Berlin gearbeitet.
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Dann, das war vor zwölf Jahren, gründete der Deutsch-Israeli mit ehemaligen Kampfgefährten die Sicherheitsfirma Manager SOS Ltd. Heute hat sie Büros in Frankfurt, London, Zürich, Hongkong, Doha, Dubai und Zebu (Philippinen), ihre Befehlshaber sitzen als „stille Teilhaber“ in Tel Aviv. Dort wird auch entschieden, welcher Auftrag angenommen wird. Weiter ins Detail möchte Heyde nicht gehen.
Manager SOS ist eine Art privater Geheimdienst, ein Netzwerk aus rund 100 festen und doppelt so vielen freien Mitarbeitern: Männer und Frauen aus Geheimdiensten, Sicherheitsbehörden und Armeen, Wirtschaftsberater, Psychologen, Hacker, Detektive, Fernmeldetechniker, Aufsperr-Genies, Lauschangreifer, Rechtsanwälte. Sie sitzen in verdeckten Büros über den ganzen Globus verstreut und operieren nach der „Zellentaktik“, erklärt Frank Heyde. Sein Titel: Headofficer Europe. Seine Mission: „Wie aus dem Nichts auftauchen, Job erledigen, verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen.“
Moralische Bedenken kenne er nicht. Könne er sich nicht leisten: „Unsere Gegenspieler sind oft richtige Wirtschaftskrieger. Russen, Koreaner, Amis, Chinesen. Für Spione ist die Industrie interessant, nicht mehr das Militär. Die Weltkonzerne haben längst Spionageabteilungen aufgebaut, die das eigene Unternehmen schützen, die Konkurrenz beobachten, ausforschen und womöglich auch schädigen. Ist doch klar, dass ich bei meinen Missionen schon mal in die Randbereiche des gesetzlich Erlaubten abtauche. Ich nenne das legale Grauzonentaktik. Oder aggressive
Angriffsverteidigung.“ Von größter Wichtigkeit sei, dass er bei seinen Operationen keinen Staub aufwirbelt. Die Spähaktionen bei Telekom, Bahn & Co. – Stümperwerk dagegen.
Kürzlich hat Heyde im riesigen Hafen von Hongkong zwei Container mit falschen Luxusuhren aufgebracht, ein paar Millionen Euro wert. Sie sollten nach Rotterdam verschifft werden. Der Problemlöser und seine Kontaktleute in Hongkong mussten dafür in Lagerhallen einbrechen, die von nervösen Männern mit Pumpguns und schusssicheren Westen bewacht wurden. Ein paar Schüsse fielen. Als sie die Uhren geortet hatten, schalteten sie Zoll und Polizei ein. Die Plagiate wurden beschlagnahmt und geschreddert. Es gab eine Extraprämie.
Morgens München, mittags Marbella, abends Miami – so kann ein Tag für Heyde aussehen. Oder Moskau.
Es ist gar nicht lange her, da wollte sich ein russischer Geschäftsmann an einem deutschen Bauunternehmen beteiligen. Heyde sollte den betreffenden Oligarchen unter die Lupe zu nehmen. „Mein Klient wollte sicherstellen, dass er nicht mit der russischen Mafia einen Vertrag schließt“, sagt Frank Heyde lachend und angelt sich eine neue Zigarette aus der Packung. In der russischen Hauptstadt traf er sich mit Mittelsmännern, die früher für den KGB geschnüffelt haben: „Die kosten zwar eine Stange Geld, wissen aber alles.“
Sie wussten, dass der Millionär in undurchsichtige Geschäfte verwickelt war. Heydes Klient nahm von dem Deal
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mit dem Mafioso doch lieber Abstand.
Gern erzählt der Problemlöser auch von seiner bislang aufwendigsten Operation: Eine schweizerische Versicherung war drauf und dran, sich zu zerfleischen. Es ging um Führungsposten, Sexgeschichten, Korruption und Betrug.
Der Hauptaktionär wandte sich an Manager SOS. Heyde übernahm, trommelte 40 Leute zusammen. Nach drei Monaten war der Job erledigt, der Konzern wieder in ruhigem Fahrwasser: „Sechs Manager wurden entsorgt, ohne dass die Presse Wind davon bekam oder der Aktienkurs bedrohlich absackte.“ Mission erfüllt.
Zwei-, dreimal im Jahr fliegt der Problemlöser nach Israel, um mit den „stillen Teilhabern“ die Lage zu besprechen. Und um zu trainieren: „Das Schießen aus dem fahrenden Auto ist in Deutschland ja verboten. Aber ich muss auch darin fit bleiben.“ In Israel kommt er in Trainingscamps, in denen sonst nur Spezialtruppen schwitzen. Das Abseilen trainiert der Problemlöser mit seinen Leuten in einem Steinbruch im Schwarzwald nahe Offenburg, den Häuserkampf in einer verlassenen Siedlung in den französischen Vogesen, das Überwältigen und die Festnahme von Verdächtigen in abgelegenen Gewerbegebieten.
Der nächsten Einsatz bedeutet viel fliegen – und viel verdienen. Ein Scheich aus den Emiraten hat ein Problem und für Heyde bereits First-Class-Tickets und 5-Sterne-Hotel in Fernost gebucht. Chinesische Geschäftspartner haben ihn um 30 Millionen Dollar geprellt. Der Scheich will wissen, wer die Chinesen wirklich sind und wo sein Geld steckt.
Nach einigen Tagen hat Heyde sie in Bangkok geortet. „Alte Geheimdienstkontakte und das Netzwerk“, sagt er grinsend. So werden in Kürze ein paar ruppige Geldeintreiber bei den Chinesen auftauchen. Einer von ihnen wird Frank Heyde sein.