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Ein unberechenbares Luder / Hamburger Abendblatt (eine Seite) / 2011

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Ein unberechenbares Luder
Mit dem Wiesmann-Roadster MF5 durch Hamburg. Wie fährt sich ein handgefertigtes Cabrio, das selten ist wie ein Wunder und teuer wie ein Haus?
Fotos: Roland Magunia
Um mit dem Wiesmann-Roadster MF5 endlich vom Hof des einzigen Händlers weit und breit fahren zu dürfen, gibt es erst mal die Einweisung. Sie dauert eine Viertelstunde und endet mit beängstigenden Worten: "Lassen Sie bloß die Finger vom Knopf mit dem DSC-Aufdruck in der Mittelkonsole. Schalten Sie die Dynamische Stabilitäts-Kontrolle aus, wird der Sportwagen ein aggressives, unberechenbares Luder. Es hört nicht mehr auf Sie. Es sei denn, Sie sind Profi-Rennfahrer."
Von außen betrachtet sieht das geheimnisvolle Genussauto, das ganz selten und auf Hamburgs Straßen so gut wie nie zu beobachten ist, zwar enorm rassig, aber nicht gefährlich aus: breit, flach, elegante Rundungen hinten und vorne. Es wirkt nicht prollig oder gar vulgär wie andere Supersportler, dafür klassisch, stilsicher, fast formvollendet. Es ist allerhöchste Autobau-Kunst.
Ganze 49 von diesen in über 350 Stunden Handarbeit gefertigten MF5-Flitzern wurden
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in der Dülmener Wiesmann-Manufaktur im Münsterland überhaupt erst gefertigt und weltweit vertrieben. Jeder Roadster wird nur auf Bestellung gebaut und ist ein Unikat. Der Kunde kann aus 33 000 Lacken und 400 teils exotischen Lederarten wählen. Das alles hat seinen Preis: Je nach Ausstattung kostet das Wiesmann-Cabrio schon mal so viel wie ein Landhaus. 190 000 Euro in der Basisausstattung, 250 000 Euro und mehr je nach Extras und Sonderwünschen. Der getestete Wagen liegt bei 230 000 Euro.
Er ist genau so blau wie der Himmel an diesem strahlenden Frühsommertag. Als der Motor endlich per Knopfdruck zum Leben erwacht, ist das ein grimmig-lauter Gruß auch an die Leute in der weiteren Nachbarschaft, die das deftige Röhren und Bellen selbst bei geschlossenen Fenstern kaum überhören können. Vorsichtig, mit einem gefühlten Zehntel der Kraft, die unter der Haube lauert, geht es ein Stück über die Autobahn. 120 km/h sind hier erlaubt. Kein Tempo für das Geschoss auf vier Breitreifen, deren Felgen jeweils 7000 Euro kosten.
Die Chance, einen solchen Wagen mal live zu sehen, ist äußerst gering
Nur wenige Kilometer sind es vom Wiesmann-Händler in Barsbüttel bis zum Horner Kreisel. Die Ludertaste in der Mittelkonsole bleibt unberührt. An der ersten roten Ampel stehen zwei Männer mit hoch gestreckten Daumen, hochgezogenen Augenbrauen und hängenden Unterkiefern.
Ihre Fußgängerampel zeigt längst Grün, doch sie stehen wie angewurzelt. Sie gucken und staunen. Ziehen nach Momenten der Schockstarre blitzschnell die Handys aus den Hosentaschen und machen Fotos. Nehmen vermutlich auch den satten Sound des Motors und der armdicken Auspuffrohre auf. Die Chance, dass sie einen solchen Wagen mal wieder live sehen und hören, ist äußerst gering. Der ist so selten wie ein Wunder.
Später in der HafenCity bleibt ein älteres, elegant gekleidetes Ehepaar stehen. Die Spaziergänger tuscheln, treten langsam näher, beugen sich neugierig zum Wagen hinunter, riskieren einen Blick aufs Innenleder und auf die handgemachten Ziernähte. "Wie teuer, wie schnell, wie viele Pferdestärken?", fragt der Mann, dessen Augen selbst durch die Sonnenbrille funkeln. "Wie ein Eigenheim, 311 km/h, 555 PS." "Wirklich wunderschöner Wahnsinn", sagt er. "Und der Verbrauch?", fragt seine Frau. "Auf der Autobahn 10,7 Liter, 15,8 in der Stadt. Beides allerdings bei besonders besonnener Fahrweise. Bleifüße, Brachialfahrer und Bekloppte verbrennen 26 Liter auf 100 Kilometern."
Auf Tempo 100 schafft der RennRoadster es in 3,9 Sekunden, aus dem Stand auf 200 in 11,6 Sekunden. Damit ist er noch explosiver (und teurer) als Cabrio-Konkurrenten großer Hersteller wie der Ferrari F 430 Spider oder der Audi R8 Spyder. Auch der Aston Martin DBS Volante oder der Bentley Continental Supersports können in Sachen Sprintstärke mit dem Wiesmann nicht mithalten. Im Preis schon.
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Ein paar Jugendliche am Dammtor, die gerade aus der Schule kommen, filmen und skandieren: "Wiesmann, Wiesmann." Junge Mädchen schnalzen mit der Zunge und rufen in den offenen Wagen hinein: "Schickes Auto." Eine Audi-R8-Fahrerin macht im Stau am Hauptbahnhof lächelnd das VictoryZeichen. Autofreaks, die an der Binnenalster gegenüber dem Hotel Vier Jahreszeiten lässig an ihrem getunten Mercedes AMG lehnen, stellen die Ohren auf wie Kaninchen, die Hunde bellen hören, als der MF5 mit seinem Tiefbass-Sound an ihnen vorbeidonnert.
Nach einer luftigen Fahrt durch die Schanze und die HafenCity, über den Jungfernstieg und den Mittelweg ist klar: Wer es mag, wenn bewundernde Blicke an ihm kleben, wer gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, wer gerne angelächelt oder gar angeflirtet wird, für den ist der Roadster MF5 genau das richtige Auto. Für andere kann die Fahrt bei Sonnenschein und Sommertemperaturen durch die Hansestadt unter Dauerbeobachtung von allen Seiten doch ganz schön anstrengend sein. Aber Spaß macht sie doch.
Auch die Tankanzeige hält sich wacker im oberen Bereich
Der Wagen ist eine Wucht. Und auch die Benzinnadel hält sich wacker im oberen Bereich, sogar wenn man ein paar Mal richtig Gas gibt, dabei kräftig in den Sitz gepresst wird und der Motor plötzlich laut aufbrüllt wie ein wild gewordener Eber.
Bleibt nur noch die Sache mit der geheimnisvollen Ludertaste in der Mittelkonsole.
Sie zu deaktivieren bedeutet, den Brachialkräften des Wiesmann freien Lauf zu lassen. Besser kein Risiko eingehen auf den letzten Kilometern auf der Autobahn hinter dem Horner Kreisel. Schon gar nicht nach einem so unvergesslichen Tag auf den Straßen von Hamburg.