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Endlich bei Mama / Hamburger Abendblatt (eine Seite) / 2011

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Endlich bei Mama
Wenn Väter ihre Kinder in den arabischen Raum entführen, beginnt für die Mütter meist eine lange Zeit der Ungewissheit. In diesen Ländern haben sie keine Rechte. Es bleibt nur die Rückentführung des eigenen Kindes. Die Geschichte zweier Mütter
Fotos: Roland Magunia, Jörg Heuer
Als Jasmins* Handy klingelt, fällt ihr fast die Kaffeetasse aus der Hand. Mohammed Abdallah, 35, ist dran. Der Palästinenser ruft die 26Jährige, die in einer Kleinstadt südlich von Hannover lebt, aus dem Gazastreifen an. Abdallah ist Jasmins ehemaliger Lebenspartner. Er hat im vergangenen Juni ihre gemeinsame Tochter Yanni*, 6, entführt.
Gib mir endlich mein Kind zurück“, sagt Jasmin. Wie immer, wenn sie mit ihm telefoniert. Ihre Hände zittern, trotz der Beruhigungstabletten, die sie regelmäßig nimmt. Die Medizinisch Technische Assistentin besitzt das alleinige Sorgeund Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter. Doch das hilft ihr nicht.
Abdallahs Lachen und arabisches Stimmengewirr ist zu hören. „Du musst zur Polizei gehen und die Anzeige gegen mich zurückziehen“, sagt er. „Sorge bei der Staatsanwaltschaft dafür, dass der internationale Haftbefehl gegen mich aufgehoben wird, dass ich aus Gaza wieder rauskommen kann.

* Name geändert.
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Ich will arbeiten, hier drinnen gibt es keine Jobs, kein Geld. Scheiße, hätte ich dich bloß nie kennengelernt, hätte ich mich nur nie mit dem Teufel eingelassen.“
An Jasmins Hals bilden sich rote Flecken. Sie könne doch noch weitere Kinder kriegen, sagt der Palästinenser. Der Gazastreifen wird von der radikalislamischen Hamas kontrolliert. Die junge Mutter fragt, ob sie Yanni wenigstens kurz mal sprechen darf. Man hört ein paar arabische Kinderworte im Hintergrund. „Sie hat keinen Bock auf dich“, sagt Abdallah und legt dann auf. Jasmin wählt seine Nummer, doch er geht nicht mehr dran.
Es gibt internationale Abkommen, in arabischen Ländern gelten sie nicht
Die Deutsche drückt eine weitere Tablette aus der Packung. „Yanni geht in Gaza in eine Koranschule. Sie spricht jetzt arabisch, kaum noch deutsch“, sagt Jasmin. Sie sitzt am Küchentisch. „Der Typ unterzieht sie einer Gehirnwäsche. Deine Mutter ist böse, will den Papi ins Gefängnis stecken, solche Sachen. Vielleicht lässt er sie sogar beschneiden?“
Offiziell gibt es pro Jahr 1500 bis 2000 solcher Fälle in Deutschland, die Dunkelziffer liegt jedoch weit höher. Nach der Kindesentführung beginnt für den Elternteil, der alleine zurückbleibt, ein monatelanges Martyrium, das meist im finanziellen Ruin endet und die Kinder traumatisiert. Damit das Kind wieder in die Obhut des berechtigten Elternteils kommt, haben einige Länder
Vereinbarungen wie das Haager Abkommen oder das Europäische übereinkommen zum Kindesentzug ratifiziert.
Der obhutsberechtigte Elternteil kann die Kindesrückführung über behördliche Stellen erreichen. Doch die Vereinbarungen haben nur wenige Länder unterzeichnet. Und gerade die im arabischen Raum nicht. Dort haben die Mütter keine und die Väter alle Rechte. Wird der Sohn oder die Tochter nach Tunesien, Marokko, ägypten oder - noch schlimmer - in den Iran, Irak oder in den Gazastreifen entführt, kann auf offiziellem Wege fast nichts unternommen werden. Hier ist die letzte Möglichkeit die Kindesrückentführung. Doch die ist gefährlich und teuer. Viele undurchsichtige, oft unseriöse Anbieter von Kindesrückentführungen, private Sicherheitsunternehmen, obskure Detekteien, verlangen schon als Vorschuss ein Vermögen.
Bis zum zweiten Juni vergangenen Jahres war für Jasmin und Tochter Yanni noch alles in Ordnung. Jasmin hatte sich vor einer ganzen Weile von ihrem palästinensischen Freund getrennt. Der Vater durfte seine Tochter jedoch regelmäßig sehen. Am zweiten Juni hatte die Krankenschwester Spätdienst. Mohammed Abdallah holte die Tochter aus dem Kindergarten ab. Sie sollte, so verständigten sich Jasmin und ihr Ex vorher, zwei Nächte bei ihm bleiben. Am vierten Juni wollte Jasmin ihre Tochter dann wieder abholen. Was sie nicht ahnte: Um 22 Uhr des zweiten Juni startete die Maschine vom Flughafen Frankfurt nach Kairo. Von dort aus fuhren Vater und Tochter an die Grenze zum Gazastreifen und passierten sie gemeinsam. Der Vater hatte schon vor der Entführung falsche Papiere besorgt.
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Am vierten Juni rief Jasmin arglos ihren Ex an. Der sagte ihr, er und Yanni seien in Gaza, Urlaub machen. „Ich wusste sofort, dass es eine Entführung war“, sagt Jasmin. „Er hatte vorher manchmal damit gedroht, dass, wenn ich einen neuen Lebenspartner habe, er mir wegnehmen werde, was ich am liebsten habe. Genau das hat er nun getan.“
Anfang Juni 2010 erstatteten Jasmin und ihr neuer Lebensgefährte Peter*, 39, ehemaliger Truppführer beim Kommando Spezialkräfte (KSK), heute Bauingenieur, Anzeige wegen Kindesentführung. Sie erlangten einen internationalen Haftbefehl gegen den Vater. Sollte er Gaza verlassen, klicken die Handschellen. „Gaza ist für ihn jetzt ein Gefängnis“, sagt Peter. „Für ihn und für die Kleine“, sagt Jasmin.
Sie schrieb Briefe mit Hilfsersuchen an die Bundeskanzlerin, den Bundespräsidenten, das Auswärtige Amt, die deutsche Vertretung für die Palästinensergebiete in Ramallah, die deutschen Botschaften in Israel und ägypten. Gibt es Unterstützung? „Fehlanzeige, es gibt nur Zeitverzögerungen, Wut und Ohnmacht“, erklärt Peter mit zuckenden Wangenmuskeln. „Ein Botschaftsangehöriger riet mir, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie waren doch beim KSK, hat er gesagt. Schnappen sie sich ein paar alte Kameraden und holen sie das Kind da raus. Sie wissen doch, wie das geht. Uns sind die Hände gebunden.“
Jasmin und Peter versuchten es erst mal anders. Das Paar nahm sich Anwälte in Deutschland und Gaza, zahlte an die Rechtsbeistände, an tunesische und jordanische „Vermittler“ 20 000 Euro.
Sie flogen dreimal nach Kairo, von dort aus zum Grenzübergang zum Gazastreifen, wo der Kindvater, so hatte er versprochen, die Tochter übergeben wollte. Aber er war nicht da. Weitere gut 20 000 Euro waren futsch. Ein Journalist verlangte allein für sein Kommen 2000 Euro, zudem das Doppelte und die Exklusivrechte an der Story, wenn sie die Tochter zurückentführen lassen würde. Jasmins Handyrechnungen beliefen sich in den ersten Monaten nach dem Kidnapping auf Summen zwischen 1200 und 2500 Euro. Einmal nahm sie „eine Handvoll Schlaftabletten“ zu viel, sagt sie: „Ich war verzweifelt, fühlte mich verloren, machte mir Vorwürfe. Peter entdeckte mich zum Glück rechtzeitig und rettete mir das Leben.“ Sie verlor ihren Job im Krankenhaus - und immer mehr auch die Hoffnung. Als Peter dann doch zwei ehemalige KSKKumpels anheuerte, ihnen 10 000 Euro für die Kindesrückentführung in die Hand drückte, waren auch diese weg. „Außer Spesen nichts gewesen“, sagt Peter wütend.
Der Dispo ist ausgeschöpft, Schulden machen für die Rückentführung
über 70 000 Euro haben wir bereits in die Rückholung von Yanni investiert, ohne Ergebnis“, sagt Jasmin bei einem Spaziergang durch die Straßen ihrer Heimatstadt. Sie und ihr neuer Freund haben den Dispo voll ausgeschöpft, Kredite aufgenommen, Onkel und Eltern haben so viel es ging gegeben. Jetzt hat Jasmin sich in ihrer Not doch an Detekteien und Sicherheitsunternehmen gewandt
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und angefragt, ob sie ihre Tochter zurückentführen könnten. Klar, kein Problem, war meist die Antwort. Aber mit 30 000 bis 250 000 Euro Kosten für die Kindesrückentführung aus dem Gazastreifen müsse sie rechnen. Die Hälfte des Geldes sei bei Auftragserteilung fällig. Garantien gebe es keine. Gaza sei das weltweit härteste Pflaster für Rückentführungen. Ein Sicherheitsunternehmen mit Filialen in Deutschland, England und Israel versuchte sie jüngst gar zu erpressen: Bekäme er den Auftrag nicht, würde er sich mit dem Entführer in Gaza direkt in Verbindung setzen, mailte ein krimineller Detektiv aus Köln an Jasmin. Adresse und Telefonnummer vom Kindvater habe er ja bereits von ihr bekommen.
Eine Detektei soll das Kind jetzt aus dem Gazastreifen zurückholen
Jasmin leitete das dreiste Erpresserschreiben mit dem angedrohten Geheimnisverrat an die Staatsanwaltschaft weiter. Sie googelte SOS und wurde auf das in Frankfurt ansässige Sicherheitsunternehmen Manager SOS aufmerksam. Deren operativer Einsatzleiter, Deutsch-Israeli, Ex-Soldat im Nahen Osten, Tagessatz 1500 Euro, ist nun ihre letzte Hoffnung. „Im August möchte ich meine Tochter so gerne in Deutschland einschulen lassen“, sagt sie bei Schweinebraten und Knödel in einem Restaurant in ihrer Nachbarschaft. „Das ist mein größter Traum. Für den kämpfe ich.“ Der Detektiv von Manager SOS hat ihr als Erstes erklärt, dass die Chancen von Yannis Rückentführung aus Gaza in den nächsten Wochen unmöglich,
in den nächsten Monaten sehr gering seien. Die Chancen, dass die kleine Yanni in absehbarer Zeit überhaupt zu ihrer Mutter zurückkommt, stünden bei 20:80. „Der Grat der Entfremdung der Tochter gegenüber der Mutter scheint schon groß zu sein“, sagt der Detektiv. „Es kann sein, dass das Kind sich im Gazastreifen bereits eine soziale Struktur aufgebaut, Freunde gefunden hat. Reißt man es da jetzt durch eine vielleicht sogar gewaltsame Entführung raus, würde man es noch mehr schädigen, als wenn man es da weiter leben lässt.“
Mutige Mütter, die die Entführung selbst übernehmen und alles riskieren
Doch Jasmin will das Risiko eingehen. Sie habe schon weitere Kredite beantragt, um die Kindesrückentführung finanzieren zu können. „Und wenn ich am Ende für Yannis Rückkehr so viel bezahle wie andere Leute für ein Einfamilienhaus, das ist mir egal“, sagt sie. „Ich kann nicht leben ohne meine Kleine.“
Hoffnung macht Jasmin die Geschichte von Monika Zakrzewska, 29, aus Neuss, deren Tochter Sarah, 4, ebenfalls im vergangenen Juni vom Kindsvater entführt worden war - nach ägypten. In Kairo musste Sarah mit Oma, Tanten und Onkeln, die sie gar nicht kannte, deren Sprache sie nicht sprach, zusammenleben. Monika Zakrzewska setzte sofort alle Hebel in Bewegung. Sie zeigte ihren Ex-Lebensgefährten an, nahm sich Anwälte in Deutschland und ägypten,
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pendelte zwischen Kairo und Neuss hin und her, fahndete verbissen nach Sarah, schmierte Informanten auf der Straße und in Behörden und hatte großes Glück. Nach 209 Tagen, kurz vor Weihnachten, konnte sie Sarah, die nur noch Arabisch sprach, endlich wieder in die Arme schließen.
Sie habe sich zwar mit 40 000 Euro verschuldet, müsse nun auf Jahre hinaus Kredite und Anwaltshonorare abstottern, sagt Monika Zakrzewska beim Spaziergang durch Hagenbecks Tierpark in Hamburg. Die beiden sind gerade für zwei Tage hier, zur Erholung. „Ich habe im Zuge des ganzen Horrors natürlich auch meinen Arbeitsplatz im Außendienst einer großen Brauerei verloren. Doch viel wichtiger ist, dass meine Tochter wieder bei mir ist. Sie ist zwar traumatisiert durch die Entführung, weint und schreit nachts noch immer oft und lässt mich tags nicht aus den Augen. Aber wir kriegen das schon hin. Zusammen sind wir stark. Uns haut so schnell jedenfalls nichts mehr um.“