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Es lebe das Wrack! / Stern (6 Seiten) / 2012

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Es lebe das Wrack!
Ein alter Mercedes 300 SL ist immer ein Vermögen wert, sogar als Rostlaube. Geschichte einer Auferstehung
Fotos: David Klammer
Zwanzig Jahre war ich auf der Jagd nach diesem Schatz“, sagt Hans Kleissl. „Jetzt bin ich verdammt nah dran, ihn endlich zu kriegen.“ Kleissl erzählt von einer Rarität auf vier Rädern, um die er in den vergangenen Wochen gefeilscht hat. Der Schatz ist einer von 29 je gebauten Aluminium-Flügeltürern und wurde seit Jahrzehnten nicht mehr bewegt. Er hat ein echtes Vermögen für den Mercedes-Benz 300 SL geboten. Der soll unbedingt zurück auf die Straße - und zwar möglichst in genau dem Zustand, in dem er 1955 aus dem Werk gerollt ist.
Den Wagen hat Kleissl mitten in Deutschland in einer Verwahrstelle für Fahrzeuge mit ungeklärten Besitzverhältnissen aufgespürt. Er parkte dort in einer tristen Garage hinter Stacheldraht, weil sich die Erben eines verstorbenen Geschäftsmanns um seinen Nachlass stritten. Das Alu-Coupé ist sogar bei der legendären Mille Miglia mitgefahren, als einziger Alu-Flügel überhaupt. Kleissl präsentiert stolz alte Schwarz-Weiß-Fotos und Startlisten: 1956, Startnummer 452. Am Steuer saß der italienische Rennpilot Alberico Cacciari.
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Das alles macht den Wagen einzigartig. Und sauteuer.
Autoscouts aus der ganzen Welt waren auf der Jagd nach ihm. Den zerstrittenen Erben, mit denen er Stillschweigen über die Preisverhandlungen vereinbarte, bot Kleissl am Ende so viel Geld für das Alu-Wrack, dass er davon einen ganzen Fuhrpark neuer Porsches, Ferraris und Lamborghinis hätte kaufen können. „Aber mich interessieren nur Flügeltürer.“
Vor 60 Jahren, im März 1952, stellte Mercedes die ersten Prototypen des 300 SL vor. Zwischen 1954 und 1957 wurden genau 1400 von ihnen produziert - 1371 mit Stahl- und 29 mit Aluminium-Karosserie und Rennsportfahrwerk. Vom Nachfolger entstanden zwischen 1957 und 1963 weitere 1858 Stück - das war ein Cabrio und musste damit auf jene eleganten Türen verzichten, die wie die Flügel eines Vogels nach oben schwingen.
Der 300 SL - das Kürzel steht für „Super Leicht“ - war seiner Zeit technisch voraus. Der Dreiliter-Sechszylinder entwickelte zwischen 170 und 225 PS und beschleunigte den Wagen in knapp unter zehn Sekunden auf 100 km/h. Der Mercedes fuhr maximal Tempo 260. Damals Leistungen von einem anderen Stern: Einen kurz nach dem Krieg gebauten VW Käfer trieben 25 PS voran, sein Tacho endete bei 120 km/h, wohin die Nadel aber nie kam. Der 300 SL kostete in den 50er Jahren rund 29000 Mark. Ein Haus war auch nicht teurer.
Die Käufer dieses Autos bilden das Who’s who ihrer Zeit. Errol Flynn, Tony Curtis, Clark Gable, Fred Astaire, Romy Schneider, Curd Jürgens, Gunter Sachs, Herbert von Karajan,
Alfried Krupp, Yul Brunner, Sophia Loren, Gina Lollobrigida und Zsa Zsa Gabor gehörten dazu. In Kinofilmen wie „Fahrstuhl zum Schafott“ oder „3 Engel für Charlie“ hatten 300 SL einen Auftritt. Eine Expertenkommission kürte den Klassiker 1999 zum „Sportwagen des Jahrhunderts“.
Die Augen des 58-jährigen Kleissl funkeln, wenn er über das Automodell redet, das älter ist als er selbst. Die Mercedes-Supersportler aus der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders sind für den Bayern, der gern Jeans und alte Lederjacken trägt, „Luxus und Lebensart, rollende Kunstwerke, die auf die Straße gehören, nicht in Sammlergaragen“.
In Polling, einem Dorf zwischen Ammersee und Alpen, betreibt er den weltweit einzigen Restaurier- und Reparaturbetrieb nur für die knapp 3000 noch existierenden 300 SL. Vor 34 Jahren hat Kleissl mitten im Ort den 10000 Quadratmeter großen Wirtschaftstrakt eines alten Klosters gekauft und restauriert. Hinter den Klostermauern hat der Autoliebhaber die passenden Möglichkeiten für sein Mercedes-Kurklinikum. 40, manchmal 50 Flügeltürer und Cabrios, so viele wie sonst nirgendwo, stehen in Hans Kleissls Firma HK-Engineering.
„Die Preise der Autos haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt“, sagt Kleissl. Heute muss er selbst für völlig verrottete Exemplare von Schrottplätzen 250 000 Euro auf den Tisch legen. Was jahrelang in Scheunen parkte, ungepflegt aussieht und mit Ach und Krach fahrfähig ist, gibt es kaum für unter 350 000 Euro. Kleissl nimmt trotzdem, was er kriegen kann.
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Rundum restauriert verkauft er die Autos dann für 500000 bis 800000 Euro in die ganze Welt. Und die wenigen Flügeltürer mit Aluminiumkarosse bewegen sind noch mal in einer ganz anderen Preisklasse, erschwinglich nur für „richtig Reiche“, sagt er.
In Sachen Mercedes 300 SL ist Hans Kleissl, der sich vor 25 Jahren auf die legendären Sportwagen mit dem Stern spezialisierte, zur Nummer eins in der Welt geworden. Etwa 600 Flügeltürer und Roadster sind bislang durch seine Hände gegangen. Von den meisten aller je gebauten Wagen weiß er, wo sie fahren, parken oder auch verrotten. Er beschäftigt 35 Spezialisten: Feinmechaniker, Karosseriebauer, Lackierer, Verchromer, Dreher, Feintäschner. „Wir machen alles aus einer Hand“, sagt Kleissl. „Für die Motoreninstandsetzung haben wir sogar einen originalen Bosch-Einspritzpumpenprüfstand hier.“ Bis zu 4000 Arbeitsstunden stecken seine Männer in einen alten Mercedes, an dem bis zu acht Leute gleichzeitig arbeiten.
Ein paar Wochen später wird ein ziemlich marodes Chassis über den Firmenhof gerollt. Kleissl hat tatsächlich den Zuschlag für seinen Schatz bekommen. Auf den ersten Blick wirkt der Alu-Flügeltürer allerdings nicht wie ein Millionenobjekt: Die Bodenbleche fehlen, die Sitze sind zerschlissen, Armaturen und Innenverkleidung desolat. Der Lack ist ab. Zumindest Motor, Karosserie, Fahrwerk und Flügeltüren haben die Jahrzehnte gut weggesteckt, meint Kleissl: „Wahre Schönheit währt ewig. Wichtig ist, dass die Identifikationsnummern mit den Herstellerangaben übereinstimmen. Und das tun sie.“ Alles soll echt sein und möglichst eine Geschichte haben.
Er selbst fährt einen mattgrauen Flügeltürer, dessen Erstbesitzer ein legendärer Playboy der 40er bis 60er Jahre war: Porfirio Rubirosa. Zu den Geliebten des mehrfach reich verheirateten Generalssohns und Diplomaten aus der Dominikanischen Republik, dessen Lebensinhalt darin bestand, Vermögen zu verprassen, gehörten angeblich Soraya, Evita Perón und Marilyn Monroe.
„Gut möglich, dass die Monroe in meinem Rubirosa mal mitgefahren ist, ein aufregender Gedanke“, brüllt Kleissl bei einer Ausfahrt durch Oberbayern gegen den brutalen Motorlärm an. Man kommt schwer hinein, sitzt unbequem, die Federung ist hart, die Klimaanlage ein laues Lüftchen. Es gibt absolut keinen Komfort in dem Zweisitzer, der die Blicke der Passanten magisch anzieht. „Das ist ursprüngliches Fahren“, ruft Hans Kleissl und gibt richtig Gas.

Am Abend checkt er die Mails. Rund 80 haben mit den Autos zu tun: In Kanada soll ein bananengelber Flügel zum Schnäppchenpreis von 200 000 Kanadischen Dollar bei einem ahnungslosen Händler stehen. Ein Rentner aus der Nähe von Stuttgart soll in finanziellen Schwierigkeiten stecken und will seinen Roadster verkaufen - seine Geldprobleme könnte er damit auf einen Schlag lösen. Kleissl reibt sich die Augen, massiert die Schläfen: „Man muss misstrauisch sein. Es gibt Schaumschläger, die nur auf Provisions-Vorauszahlungen scharf sind, dir Nachbauten und gefälschte Teile andrehen, die dich verarschen wollen. Mir wurden schon einige Flügel von Leuten angepriesen, die wirklich keine Engel waren.“
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Doch wenn er wittert, dass irgendwo wirklich ein guter Wagen zu haben ist, setzt er sich ins Flugzeug und fliegt selbst hin. Oder er schickt Vertraute: nach Kuba, Venezuela, in die USA, ganz egal. Schnappt ihm jemand einen 300 SL weg, ärgert er sich wie ein Meistertrainer, dessen Fußballteam gegen einen Dorfverein verliert.
„Viele Wagen haben eine wahnwitzige Rallye durch Wüsten und Dschungel hinter sich. Vom Diktator zum Drogenboss, vom Diamantenhändler zum ölbaron, vom Promi zum Proll“, sagt Werkstattmeister Hannes Müller. Der 28-Jährige sitzt im Blaumann im Büro. Die beiden Arbeitshallen auf zwei Ebenen hat er durch große Glasscheiben bestens im Blick. „Das hier“, sagt er und deutet auf die Autos auf den Hebebühnen, „ist mein Traumjob.“ Gerade wird an acht 300SL gleichzeitig gearbeitet. Vollrestauration, Teilrestauration, Motorschaden. Ein Wagen gehört einem griechischen Reeder, ein anderer einem Schweizer Privatier.
Es wird gefeilt, geschraubt, geflext, genäht und gemessen. Am Arbeitsplatz von Juri Gomer, 53, Feintäschner, riecht es nach Leder. Der Kasache mit Sonderausbildung im Umgang mit alten Tierhäuten und betagten Stoffen bringt gerade Roadster-Sitze in Form. Ein paar Meter weiter zerlegt Kfz-Mechaniker Erwin Mayer, 44, einen Dreiliter-Sechszylinder-Motor. „Wir machen Millimeterarbeit“, sagt Hannes Müller. „Die Kunden erwarten Perfektion. Die Spaltbreiten und Schraubenabstände müssen auch unter der Lupe noch stimmen, die Ersatzteile original sein.“
Werkstatt-Oberauge Müller, der die Karosseriebauer-Lehre mit Bestnote abgeschlossen hat, ist Kleissls rechte Hand
in praktischen Fragen. Er hat die Preise im Kopf: Eine Vollrestauration dauert bis zu einem Jahr und kostet rund 250000 Euro. Die Lackierung nimmt 200 Arbeitsstunden, die Restaurierung des Innenraumes 800 Stunden in Anspruch. Eine Original-Felge kostet 3000 Euro, der Außenspiegel 1000, ein Scheinwerfer 3000. Der Motorblock wird mit 15000 Euro gehandelt.
Wie checkt man die Echtheit der Teile? „Es gibt Auslieferungs-Datenkarten von Mercedes“, erklärt Müller. „Damit gleichen wir die Nummern ab, die im Wagen eingeprägt sind: an Karosserie, Motor, Achsen und Getrieben. Zudem verfolgen wir die Geschichte des Wagens, soweit möglich, bis zum Erstbesitzer zurück. Eine richtige Detektivarbeit ist das.“ Die Kunden wollen wissen, wer vor ihnen am Steuer saß. „Das würde ich auch wissen wollen, wenn ich 800000 für ein altes Auto hinblättere“, sagt Müller.

Das vergangene Jahr sei das bislang beste der Firma gewesen, sagt der 27-jährige Wirtschaftsinformatiker Markus Fograscher. Das iPhone zwischen Ohr und Schulter geklemmt, sitzt er vorm Computer. Eben noch hat er mit Kunden in Thailand und Griechenland telefoniert, gleich ist er mit einem Moskauer Multimillionär verabredet. „Russen und Chinesen sind schwierig. Bei Vereinbarungen oder Geldzahlungen, es klemmt überall“, sagt Fograscher.
Die Tiefgarage unter der Werkstatt ist eine automobile Schatzkammer. Zwei Dutzend Flügeltürer und Roadster glänzen im Licht der Neonlampen: der lindgrüne Flügel, dessen Erstbesitzer Gunter Sachs war. Der elfenbeinfarbene Roadster, der 1958
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an die deutsche Vorkriegs-Rennfahrerlegende Rudolf Caracciola ausgeliefert wurde. Der erdbeerrote Flügel, den der nicaraguanische Diktator Somoza einst bei Mercedes bestellen ließ.
„Ich gebe meinen Wagen in keine andere Werkstatt“, sagt Ton Cieraad, 53, holländischer Fabrikant aus der Nähe von Amsterdam und Besitzer des Sachs-Flügels. „Hier wird mit Hingabe auch die Patina erhalten“, sagt der Oldtimergutachter Chris Kramer, 47, aus Bergisch-Gladbach, der den Caracciola-Roadster fährt. Martin Semm, 41, Tanklastwagenhändler aus Bebra und Besitzer des Somoza-Flügels, schätzt die Pollinger SL-Manufaktur, „weil kein Mangel an Original-Ersatzteilen und Spezialkenntnissen herrscht“.
Die drei SL-Besitzer sind typisch für Markus Fograschers Klientel: Er hat in seinem Handy die Privatnummern von Dutzenden Millionären weltweit eingespeichert. Er spricht Englisch, Dänisch, ein bisschen Spanisch und auch ein paar Brocken Chinesisch. Fograscher ist Kleissls Mann für Management und Marketing. „Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten zehn große Restaurierungen gemacht und 36 Wagen verkauft. 15 Flügeltürer, 21 Roadster. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Steigerung im dreistelligen Prozentbereich.“
Das habe wohl mit der Finanzkrise zu tun, glaubt Fograscher: „Die Leute möchten ihr Geld sicher anlegen. Die 300 SL steigen im Wert wie kaum etwas sonst. In Amerika wurde ein Flügel letztes Jahr bei einer Auktion für eine Million Dollar, ein top gepflegter Alu-Flügel im Januar gar für 4,62 Millionen Dollar versteigert. Auch bei uns geht der Trend Richtung siebenstellig.“
Plötzlich wird es unruhig in der Werkstatt. Der „Maestro“ aus Turin ist eingetroffen. „Don Carlo“ Maina ist, sagen alle hier, der Weltmeister der Feinblechner. „Das Blechklopfen ist ein Handwerk, das ausstirbt“, klagt der Italiener. „Früher gab es in Turin 5000 Feinblechner, heute vielleicht noch 25.“
Der hemdsärmelige 68-Jährige wird in der Pollinger Werkstatt wie ein Star empfangen. Jeder will ihm die Hand drücken, die Schulter tätscheln. „Ich habe 50 Jahre meines Lebens an Karosserien gearbeitet“, sagt Carlo Maina. „Mit Ferraris und Maseratis habe ich angefangen, später 20 Jahre für BMW und Mercedes Prototypen gebaut. Einen nach dem anderen. Nur mit meinen Händen. Biegen, hämmern, glätten. Das ist, was ich kann.“
Lange hat Don Carlo auch Karosserieteile für Kleissls 300SL geklopft, bei denen die Originalteile nicht zu retten oder keine Ersatzteile mehr aufzutreiben waren. Kühlerhauben, Kotflügel, Kofferraumdeckel. Er sei in der Lage, jedes Blech „original-identisch“ zu formen, behauptet der Italiener. Aber so langsam denkt auch er daran, den Hammer fallen zu lassen und in Rente zu gehen.
Hans Kleissl hört das ungern. Er hat noch keinen Nachfolger gefunden. Der Afrikaner Gregoire Euloge traut sich das zu. Er hat Karosseriebauer gelernt - in seiner Heimat Benin und in Deutschland. Weil er ein FlügelFan ist und nicht als Teiletauscher in einer x-beliebigen Autowerkstatt arbeiten will, kam er nach Polling. Nach einem Probemonat folgte die Festanstellung. Für den 42-jährigen Westafrikaner ist der Maestro aus Italien „der Meister aller Meister“. „Ich möchte mehr von Ihnen lernen“, fleht er fast.
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„Ist gut“, antwortet Carlo Maina. „Komm für ein paar Monate zu mir nach Italien. Ich zeige dir alles. Dann sehen wir weiter.“

Den Zuschlag für den Aluminium-Flügeltürer hatte Hans Kleissl erst nach vielen Wochen des Wartens erhalten. Doch kaum stand der in der Szene so heiß umworbene Wagen hinter Klostermauern in Polling, war er auch schon wieder verkauft. „Ich musste nicht lange telefonieren“, verrät Kleissl. „Ein guter Kunde in London, im Ölgeschäft unterwegs und Liebhaber ganz besonderer Autos, hat ihn ohne Ansicht gekauft.“ Und der Preis? Kleissl grinst: „Es sind schon ein paar.“ Ein paar Millionen.
Ein Jahr wird der Käufer auf den Wagen wohl noch warten müssen. So lange dauert es, bis er fertig restauriert ist. Kleissl ist „glücklich darüber, dass der alte Alu-Flügel dann endlich wieder über den Asphalt fliegt“. Für ihn geht die Jagd nach den seltenen Fahrzeugen weiter. „In den USA besitzt jemand angeblich den ersten je gebauten 300 SL“, sagt Hans Kleissl und stützt nachdenklich den Kopf in die Hände. „Falls das stimmt, will ich den um jeden Preis nach Polling holen.“