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Ganz nah dran / Hamburger Abendblatt (Seite 3) / 2010

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Ganz nah dran
Vor kaum jemandem zeigen sich Megastars und Mächtige derart offen und bloß:
Der Deutsche Martin Schoeller ist zur Zeit der gefragteste und originellste Porträtfotograf der Welt. Jörg Heuer hat ihn in New York besucht.
Fotos: „CLOSE UP“ Martin Schoeller
Er hatte es wieder auf den Kopf des US-Präsidenten abgesehen. Doch diesmal hat er ihn nicht erwischt. "Vor sechs Jahren war ich schon mal ganz nah an ihm dran. Der Schuss war fast ein Volltreffer. Jetzt wollte ich ihn noch ein bisschen besser machen. Doch Mister Präsident blockte ab. Ich hätte heulen können", sagt Martin Schoeller in Erinnerung an seine letzte Begegnung mit dem mächtigsten Mann der Welt - mit Barack Obama.
Schoeller , 41jähriger Starfotograf, in München geboren, in Frankfurt aufgewachsen, seit 15 Jahren in New York, Rastazöpfe, jungenhaftes Gesicht, sitzt gemeinsam mit seinen vier fest angestellten Mitarbeitern in seinem hellen Büro in einem Speicherhaus in Manhattans angesagtem Stadtteil Tribeca.
Dritte Etage. Sündhaft teure Miete. Im zweiten Stock hat Schoeller sich unlängst für ganz viel Geld ein 270 Quadratmeter großes Loft gekauft, das er mit Ehefrau Helen und Baby Felix bewohnt.
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Die Renovierung hat ihn gerade noch einmal um ein paar Hunderttausend Dollar erleichtert.
Sein Auto - einen acht Jahre alten VW, lässt Schoeller in Manhattan meist stehen. Bis zum Broadway und zum Hudson River sind es nur wenige Gehminuten. Robert de Niro hat bis vor Kurzem im Haus gegenüber gewohnt. Harvey Keitel lebt gleich um die Ecke. Auch der Rapper Jay-Z mit seiner Frau, der R & B Sängerin Beyoncé.
Martin Schoeller, der seine prominenten Nachbarn natürlich längst vor der Kamera hatte, nippt kurz am dünnen Styroporbecher-Kaffee. Noch einmal blickt er kopfschüttelnd auf das Foto des US-Präsidentenpaars, das ihn an seine "schmerzliche Niederlage" vor wenigen Wochen erinnert. Das Bild der Obamas, das er jüngst im Weißen Haus gemacht hat, ziert das aktuelle Cover des Monatsmagazins "Essence". Medien auf der ganzen Welt drucken es nach. Schoeller ist trotzdem unzufrieden. Weil er von Michelle und Barack gerne noch ein paar Close-ups gemacht hätte. Solche extremen Nahaufnahmen, haben ihn zu einem der originellsten und zurzeit gefragtesten Porträtfotografen der Welt gemacht.
Inszenierte Bildwelten und ungeschminkte Porträts
Martin Schoeller kommt mit seinem Fotoapparat den Mächtigen und Megastars meist so nahe wie kaum jemand sonst: Bill Clinton, Al Gore, John McCain, Angelina Jolie, Meryl Streep, Catherina Zeta-Jones, Brad Pitt, George Clooney, Clint Eastwood, Jack Nicholson, den Regisseuren James Cameron, David Lynch oder Quentin Tarantino, den Glamour-Girls Paris Hilton
und Britney Spears, den Sängern Sting, Timberlake und Prince, dem Fußballgott Pelé, dem Immobilientycoon Donald Trump oder dem Medienmogul Ted Turner. So renommierte Magazine wie "New Yorker", "Harper's Bazaar", "Esquire", "Vogue", "New York Times Magazine", "Rolling Stone", "People Magazine", "National Geographic" oder "Vanity Fair" drucken seine mit enormem Witz und Einfallsreichtum inszenierten, immer perfekt ausgeleuchteten Bilder auf ihren Titelblättern. Schöller-Fotos haben eine ganz eigene Handschrift. Sie jonglieren spielerisch mit Märchen- und Filmmotiven. Sie versprühen Witz und Ironie.
Der gut einsachtzig große, 90 Kilogramm schwere Rastamann, der lieber Jeans als Designerklamotten trägt und dem es beim Mexikaner besser schmeckt als im Gourmettempel, ist seit zehn Jahren Vertragsfotograf des hoch angesehenen "New Yorker". Als Hausfotograf folgte er hier dem legendären Richard Avedon. Ein Ritterschlag für den jungen Fotokünstler. Werbekunden wie Nike, Goldmann Sachs, Saatchi & Saatchi oder BBDO zahlen ihm heute Tagesgagen um die 20 000 Dollar.
Schoeller lebt seit gut zehn Jahren den noch immer modernen amerikanischen Traum. "Die Krise", sagt er, "habe ich im letzten Jahr nur im Februar und März gespürt, da aber richtig." Als kaum Aufträge hereinkamen, wurde auch er nervös. Und vorsichtig. Er hat jetzt nur noch vier fest angestellte Mitarbeiter. Es waren mal sechs.
Bei seinen Foto-Shootings in New York, Washington, Los Angeles und in den flirrenden Hauptstädten dieser Welt, selbst bei seinen Buchprojekten und Reportagen über durch Doping gemästete
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US-Bodybuilderinnen, Zebrajäger in Tansania, einen Stamm in Brasiliens Amazonassümpfen oder über Sherpas im Himalaja - immer und vor allem ist Schoeller auch auf der Jagd nach "Headshots". Nach Kopf-Schüssen. Nach ungeschminkten Gesichtern in fulminantem Großformat, die spannende, unbekannte Geschichten erzählen und den Betrachter in ihren Bann ziehen.
43 Muskeln zaubern an die Zehntausend unterschiedliche Gesichtsausdrücke. Da ist es eine Kunst, den richtigen Augenblick zu erwischen.
"Close-ups sind meine Mission und Leidenschaft. Wenn sie was werden, sind sie ehrliche, im Gedächtnis bleibende Bilder", sagt der kreative Kopfjäger. "Staatsmännische Steifheit von politischen Schwergewichten oder das langweilige Hollywood-Strahlegrinsen fotografiere ich ungern. Es ist unbefriedigend. Und wenn schon keine guten Close-ups möglich sind, weil die Stars diese intensive Nähe nicht zulassen oder weil sie das Posen einfach nicht lassen können, dann will ich doch immer auch wenigstens meinen Humor einbringen. Mutige und verrückte Bilder machen. Dafür kämpfe ich mit meinen Auftraggebern, den Protagonisten und deren Beratern und Agenten. Das ist ein ewiger Kampf. Mein Job. Ich liebe ihn."
Schoeller ist einer von ganz wenigen, die nie digital, immer nur auf Film fotografieren. Auch beim Retuschieren von Bildern gibt es für ihn klare Grenzen. Er mag Macken und Makel, Sonnenflecken - und Falten. Er will, dass die auch auf seinen Bildern zu sehen sind. Und sie sind zu sehen. Nicht alle Stars mögen das. Die Hollywood-Schauspieler Russell Crowe und Denzel Washington
waren bei einem Shooting einmal sehr pampig, erinnert sich Schoeller. Tom Cruise und die Popsängerin Mariah Carey lehnten ihn als Fotografen ab.
Unperfekt, herausfordernd, ehrlich
Extreme Nahaufnahmen sind sein Markenzeichen. "Close Up" heißt sein 2005 erschienenes, in 70 Ländern erfolgreiches Buch mit Jack Nicholson auf dem Cover. In Deutschland wurden 20 000 Exemplare verkauft. Es ist nur noch die Collector's Edition mit handsigniertem Fotoprint erhältlich.
So wie er die Nahaufnahmen kreiert, sind sie einzigartig. Spektakuläre Hingucker und brachiale Kunstwerke. Unperfekt und herausfordernd.
Schoellers Bildsprache ist dermaßen direkt, dass sie den Betrachter fast erschreckt.
Sie hat den Deutschen innerhalb weniger Jahre in die Eliteliga der Fotografen katapultiert, in der sich so klingende Namen wie Annie Leibovitz, Richard Avedon, Irving Penn, David LaChapelle, Helmut Newton, Herb Ritts oder Peter Lindbergh tummeln.
Sein Aufstieg zum Star der Fotografenszene war nicht von langer Hand geplant. Bis er 19 war, hatte er nie bewusst einen Fotoapparat in die Hand genommen. Fotografen waren für ihn "Streber und Langweiler, die bei Partys immer bekloppt lauernd herumstanden und nie tanzten".
Der Sohn geschiedener Eltern mit einer jüngeren Schwester hatte lange keine besonderen Ambitionen oder Ziele.
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Er jobbte in Frankfurt bei der Post, in Cafés, in der Behindertenhilfe. Weil ihm nichts anderes einfiel, schrieb er sich an der Uni für Theologie ein. Ein Freund überredete ihn, sich wie er an der Berliner Fotoschule des Lette-Vereins zu bewerben. Die paar Hundert Mark für den ersten eigenen Fotoapparat, mit dem er Bilder für seine Bewerbungsmappe machen konnte, spendierte ihm sein Opa.
Der Freund wurde nicht genommen, Schoeller schon. Das Fotografieren begann ihm Spaß zu machen. Die Lehrer bescheinigten ihm zumindest einen guten Blick. Die Lette-Schule verließ er nach zwei Jahren mit mittelmäßigem Abschluss.
Mit Glück und Hartnäckigkeit ergatterte er eine Stelle als dritter Assistent bei Annie Leibovitz in New York. Bei der Großmeisterin der amerikanischen Glamourfotografie, die als extrem schwierig im Umgang mit Mitarbeitern gilt, ging Schoeller Mitte der 90er-Jahre durch die "hammerharte Assi-Mühle": "Drei Jahre war ich Leibeigener und Fußabtreter - und das alles stets am Rande des Existenzminimums."
Zuerst sprach er kaum Englisch, hauste in einem "feuchten Rattenloch". Die Assistentenzeit sei "Horror und Hölle" gewesen: "Erniedrigungen, Schimpfkanonaden, Mörderstress. Doch ich habe durch Annies Drill den Umgang mit Licht von der Pike auf gelernt. Lampen, Blitze, Effekte sind in der Porträtfotografie das Wichtigste überhaupt."
Für seine Close-ups benutzt er stets dieselbe Technik: Er misst die Augenhöhe seines Gegenübers und bringt die Kameralinse fast genau auf gleiche Höhe. Die Kamera positioniert
eine Armlänge vor dem Gesicht des Gegenübers. "Ich komme immer einen Hauch von unten, um Respekt zu zeigen. Egal, ob mein Gegenüber George Clooney heißt oder ein obdachloser Junkie ist", erklärt er. "Ich arbeite genau auf den Moment hin, in dem die Leute hellwach sind, aber noch nicht gestellt wirken, sondern etwas Offenes, Intimes von sich geben. Und ich fokussiere auf Augen und Mund. Die verraten am meisten über das Leben des Porträtierten."
Statt Hightech-Lichtanlagen verwendet Schoeller bei seinen Nahaufnahmen billige Tageslichtröhren. Diese Art von Licht hat er als Erster kreiert. Und auch nur, weil er sich nach seiner Assistentenzeit genauso wie keine zweite Kamera auch keine teuren Lichtanlagen leisten konnte. Sein mobiles Close-up-Studio ist in wenigen Minuten aufgebaut und startklar. Überall auf der Welt.
Fotograf, Diplomat, Entertainer
"Im Grunde mache ich drei Jobs. Außer Fotograf bin ich auch Diplomat und Entertainer", sagt Schoeller, während drei Assistenten im 16. Stock des Roger Smith Hotels in Manhattan die Lichter für die nächste Foto-Session aufbauen. Mike, 25, aus Chicago, Rene, 24, aus Essen und Niklas, 20. Er ist Schoellers erster Sohn und stammt aus einer längst beendeten Berliner Beziehung. Niklas will sich in diesem Jahr auch an der Lette-Schule bewerben.
Schoeller soll für das Magazin "National Geographic" die Affen-Verhaltensforscherin Jane Goodall porträtieren. Eine viel gereiste ältere Dame, die weder Visagist noch Stylist will. Schoeller findet das gut. Weil es ehrlich ist.
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Natürlich hat er vorher alles über seine Protagonistin gelesen, was er im Netz und in Archiven finden konnte. Das macht er bei allen, die ihm vor die Linse kommen. "Beim Shooting dürfen mir die relevanten Gesprächsthemen nie ausgehen. Ich versuche immer eine gewisse Energie aufzubauen", erklärt Schoeller und legt eine CD von der südafrikanischen Freiheitssängerin Miriam Makeba ein. Wenn er arbeitet, läuft immer passende Musik im Hintergrund: "Alles muss bis ins kleinste Detail stimmen. Es geht stets um das perfekte Bild. Auch ich bin immer nur so gut wie mein letztes Foto."
Die Pier 59 Studios am Hudson River. Schoellers Assistenten bauen seit dem frühen Morgen die Lichter auf. Stylisten, Visagisten, Catering-Damen, Redakteure, Agenten, Manager - gut 20 Leute laufen im Fotostudio herum - mit Blick auf den Hudson.
Der deutsche Starfotograf soll die Hollywood-Schauspieler Tina Fey (bekannt als Sarah-Palin-Parodistin und Hauptdarstellerin der TV-Serie "30 Rock") und Steve Carell (spielte Hauptrollen in Filmen wie "Bruce Allmächtig", "Get smart" oder "Jungfrau, 40, männlich, sucht") für ein Magazin-Cover fotografieren. Fey und Carell haben gerade eine Beziehungskomödie abgedreht, die auch bald in deutschen Kinos laufen soll.
Schoeller ist keine Spur aufgeregt. "Das bin ich nicht mal mehr bei Clint Eastwood oder Jack Nicholson", sagt er.
Gleich nach dem Shooting fliegt er für einen dreitägigen Werbejob nach Los Angeles, von dort nach Chicago, kurz den Bürgermeister porträtieren, und wieder zurück nach Los Angeles.
Dann hofft er auf ein freies Wochenende. Sein kleiner Sohn Felix feiert den ersten Geburtstag. Den will er nicht verpassen.
Wen hatte er noch nicht, hätte er gerne mal in seinem mobilen Close-up-Studio? Martin Schoeller überlegt nicht lange: "Nelson Mandela und Fidel Castro." Und deutsche Köpfe? Er lächelt jetzt ein wenig verlegen. Er überlegt lange: "Udo Kier hatte ich schon. Franz Beckenbauer auch. Angela Merkel wäre wohl eine Herausforderung. Sonst fällt mir im Moment niemand ein."