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Grün ist die Hoffnung / Wienerin (6 Seiten) / 2008

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Grün ist die Hoffnung
In Kolumbien lagern die bedeutendsten Smaragdvorkommen der Welt. Die lupenreinsten Steine sind tausendmal teurer als Gold, wertvoller als Diamanten. Die WIENERIN hat in den Flüssen und Abraumhängen Frauen getroffen, die nachts vom „Millionen-Dollar-Stein“ träumen und tags danach schürfen.
Foto: Günther Menn
Der Fluss ist ihre ganze Hoffnung. Ihr Kraftquell. Mehr als nur ein Arbeitsplatz. Sandra Fajado wischt sich mit dem nassen Unterarm über die Stirn. „Irgendwann wird er mir und meiner Familie ein besseres Leben schenken. Ganz plötzlich, von einem Tag auf den anderen. Von einer Sekunde auf die andere. Da bin ich mir sicher. Denn ich träume nicht nur nachts vom Millionen-Dollar-Stein, tiefgrün und glasklar, ohne Einschlüsse und Risse, ich schürfe auch tags danach. Zehn, zwölf Stunden lang, sieben Tage die Woche. Die Arbeit ist anstrengend, aber sie macht süchtig."
Die 21-jährige Kolumbianerin ist mit dem Minenarbeiter Gabriel, 29, verheiratet und Mutter der sechs Monate alten Tochter Dana Valentina und des dreijährigen Sohnes Jonathan. Bis zum Rand ihrer Gummistiefel steht sie in der von Schiefer und Geröll kaffeefarben-öligen Brühe, die sich den Weg von den Minen durch den Abraumhang ins Tal bahnt. Sie trägt Bluejeans, ein helles, ärmelloses Shirt und eine
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rosa Baseballkappe, unter der ihre schwarze, von Luftfeuchtigkeit und Schweiß schwere Mähne kaum Platz hat.
Jagd nach grünen Diamanten
Bevor sie zur Arbeit aufbricht, macht sie sich immer schick. Mit Lippenstift, Lidschatten, Wimperntusche und Nagellack. Als ob sie zu einem Date gehen würde. Sie trägt auch meistens Ohrclips, Armreifen und Fingerringe – und immer saubere Sachen, nie die völlig verdreckten von gestern: „Wir Kolumbianerinnen wollen schön sein, egal, wo wir sind und was wir machen“, sagt sie entschieden – und deutet auf mehrere andere, ebenfalls sehr hübsche junge Frauen und Mädchen. „Außerdem könnte es bei unserem Job ganz spontan etwas zu feiern geben. Und in Lumpen tanzt es sich nicht gut.“
Nach wenigen Minuten der Smaragd-Schürferei sieht die südamerikanische Schönheit jedoch aus, als schufte sie auf der Kohlehalde. Das Gesicht, die Hände, die Klamotten, alles ist schwarz verschmiert. Sie wirkt, als wäre sie mit einer Glasur überzogen. Doch die Augen der Kolumbianerin strahlen mit den blendend weißen Zähnen um die Wette. Sandra ist im Smaragd-Fieber. Sie hat jetzt keine Zeit zum Reden. Sie muss „konzentriert wie eine Jägerin“ sein, „gucken wie ein Adler“, sagt sie: „Sonst rumpelt das grüne Glück an mir vorbei. Oder jemand anderes schnappt es mir vor der Nase weg.“
Sandras Spähblick scannt den matschigen Boden. Ihre schlanken Finger arbeiten sich durch den dunklen Schiefer am Rand des
plätschernden Rinnsals eines „Flusses“. Sie sucht nach etwas, das wie Splitter einer Bierflasche aussieht. Eine fingernagelgroße, eine daumendicke Scherbe könnte der Jackpott sein. Wenn man es geschickt anstellt, dann ist so ein Splitter im Matsch der Beginn eines sorgenfreien und finanziell unabhängigen Lebens.
In Träumen hat sich Sandra ihre neue Zukunft schon ausgemalt: Ein Haus mit Strom aus der Steckdose und Wasser aus der Leitung, am Rande einer kleinen Stadt, vielleicht am Meer. Und zu den zweien noch fünf Kinder dazu. Jedes soll ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bett haben.
Schatzkammer Kolumbiens
Hier in Muzo, nicht unweit des Äquators, inmitten eines Landes, das als eines der gefährlichsten der Welt gilt, fühlt es sich an wie in einer Dampfsauna – einer Dampfsauna im Niemandsland. Asphaltierte Straßen, gut sortierte Supermärkte, gemütliche Restaurants, schnelle DSL-Leitungen und funktionierende Handynetze? Alles einige Autostunden entfernt. Von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá trennen uns rutschige Dschungelpisten, die mächtigen Drei- und Viertausender der Anden, serpentinenreichene Wege durch die Wolkendecke zum tropischen Regenwald in die entlegene 5000-Seelen-Gemeinde Muzo, der geheimnisvollen Welthauptstadt der Smaragde. Muzo ist die Schatzkammer Kolumbiens. In den feuchtheißen Tälern um die kleine Stadt werden die edelsten Smaragde überhaupt abgebaut.
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Die kostbaren Steine faszinieren durch ihre tiefgrüne Farbe. Die englische Queen, der Scheich von Brunei und der Sultan von Bahrain tragen die lupenreinen Millionensteine aus Muzo in der Krone. Sie sind tausend Mal teurer als Gold, die makellosesten wertvoller als Diamanten. Bis zu 100.000 US-Dollar zahlen Liebhaber für ein Karat (0,2 g).
Eine Summe, die sich die Menschen in der Indianersiedlung der Muisca schwer vorstellen können. Hier, wo die Familien in morschen Bretterbuden mit Wellblechdach, ohne fließend Wasser und Strom wohnen, wo die vielen Kinder weder Schuhwerk noch Oberbekleidung tragen – und große Augen machen, als sie uns Reporter sehen. Wir Gringos haben hier einen ähnlichen Seltenheitswert wie Geschirrspüler.
Die Muisca sind ein mit den Inka verwandtes Volk. Sie haben die Smaragdvorkommen in den Ausläufern der Anden vor mehr als tausend Jahren entdeckt. In den Legenden der Indios sind Smaragde „Tränen der Götter“.
Jedes Jahr fördert Kolumbien Smaragde für 400 Millionen US-Dollar. Noch einmal die gleiche Menge landet vermutlich auf dem Schwarzmarkt; etwa zwei von drei aller auf der Welt gehandelten „grünen Diamanten“ stammen aus der Region um Muzo.
Der Herrscher über diese abgelegenen Gegend, Don Victor Carranza, 71, Kolumbiens „Smaragdzar“ und ursprünglich ein Mann aus einfachsten Verhältnissen, der es durch die Edelsteine zum
Multimilliardär gebracht hat, ist ausnahmsweise einverstanden, dass zwei Reporter durch sein Reich reisen. Wir müssen uns nur an seine Regeln halten. Die wichtigste steht in großen weißen Lettern am Hang über Muzo: „Paz Dios ve Todo“ – Friede, Gott sieht alles. Während in weiten Teilen Kolumbiens seit mehr als vierzig Jahren ein blutiger Bürgerkrieg zwischen rechten Paramillitärs und linken Guerilleros tobt, herrscht in Carranzas „Reich“, das immerhin so groß ist wie Bayern, seit fast zwei Jahrzehnten beständiger Frieden.
Desperados in Gummistiefeln
Im nur noch 700 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Muzo und den nahen, an den Berghängen wie Schwalbennester klebenden Dörfern Borbur, Coscuez, Mata de Cafe, Las Animas, die in der Welt der Edelsteine ebenfalls höchst wohlklingende Namen haben, sind schon vor Sonnenaufgang eine Menge Desperados und Abenteurer mit Gummistiefeln unterwegs. Sandra ist nur eine von Tausenden, vielleicht sogar Zehntausenden. Unzählige Frauen, Kinder und Männer, mit Spitzhacke und Schaufel, Sieb und Hammer bewaffnet, machen sich auf den Weg zu den Schürfgebieten. Zu den schwarzen Flüssen Río Minero und Río Itoco und den davon abzweigenden Böchen und Rinnsälen unterhalb der viele hundert Meter in die Berge hineinragenden Minen und den Abraumhängen davor.
Auf einmal hat Sandra wirklich einen grünen Splitter in der schwarzen Hand. Einen gar nicht mal so kleinen Rohsmaragd.
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Sie nimmt den Edelstein zwischen Daumen und Zeigefinger. Hält ihn gegen die Sonne. „Die Farbe ist gut, aber nicht sehr gut. Er ist zu hell. Er hat auch zu viele Einschlüsse“, sagt sie und wirkt ein wenig enttäuscht. „Die Händler werden mir dafür keinen besonders guten Preis machen. Vielleicht 70.000 Peso, umgerechnet 40 Dollar. Ich werde den Smaragd wohl besser im Dorfladen gegen Mais, Mehl, Milch, Bier und Schokolade eintauschen, das dürfte das klügste sein. Neben Peso sind die Edelsteine hier unsere zweite Währung. Das hat meine Familie und mich schon öfters vor dem Hunger bewahrt. Mittlerweile haben wir einen kleinen Smaragdvorrat immer in der Nähe unseres Hauses vergraben. Als eiserne Reserve für schlechte Zeiten."
Elsa-Maria, 40, und ihre Tochter Marina, 16, die einen Steinwurf neben Sandra im Fluss schürfen und jetzt neugierig herbei geeilt kommen, klopfen Sandra nach Ansicht des Fundes mitfühlend auf die Schulter. „Hey, Löwin, nicht den Kopf hängen lassen. Ein Stein ist besser als kein Stein“, sagt Marina.
Auch sie und ihre Mutter haben kürzlich, nach einer elend langen Pechsträhne von mehreren Wochen, ein paar beachtliche grüne Splitter aus dem Fluss gefischt. Einer von den vielen Händlern aus Bogotá, die in blitzblanken Toyota-Jeeps mit schicken Ledersitzen, bewaffneten Bodyguards und dicken Peso-Bündeln in der Hosentasche durch die Smaradgtäler patrouillieren, saubere Klamotten, Sonnenbrille, Hut und Cowboystiefel tragen, hat sie ihnen
abgekauft. „Für umgerechnet 200 Dollar“, sagt Marina. Das ist nicht schlecht in einem Land, wo ein Monatsverdienst von 50 US-Dollar normal ist, wo die Minenarbeiter für ihren gefährlichen Job mehrere hundert Meter tief in der Erde bei großer Hitze, ätzendem Staub und miserabler Luft in schlechten Monaten nur die Hälfte bekommen.
Unter Wert
Mutter Elsa-Maria und Tochter Marina wissen ganz genau, dass ihre Steine auf dem Smaragdmarkt im Zentrum Bogotás ihnen tausend Dollar gebracht hätten. Dass sie nach dem Schliff im wie Fort Knox gesicherten Emerald Trade Center, wo die grünen Juwelen erst ihren bezaubernden Glanz bekommen, vielleicht ein paar tausend Dollar wert wären.
Aber die beiden Frauen wissen nicht, wie sie die gut hundert Kilometer über die Dschungelpiste hoch nach Bogotá – 2.600 Meter über dem Meeresspiegel gelegen –, kommen sollen. Es fährt kein Bus. Sie besitzen kein Auto. Sie leben alleine. Der Mann ist bei einem Unfall in der Mine vor sechs Jahren ums Leben gekommen.
Für die Frauen ist es ziemlich gefährlich, wenn sie alleine reisen. Lebensgefährlich ist es, mit Smaragden im Gepäck zu reisen. So haben Mutter und Tochter die feuchtheißen Täler um Muzo während all der Jahre, die sie hier arbeiten, noch nie verlassen. „Erst wenn wir der Erde den ganz großen, richtig wertvollen Stein abjagen, machen wir uns heimlich von hier fort und beginnen woanders ein neues
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Leben“, sagt Mutter Elsa-Maria. „Das ist unser Ziel. Und ich hoffe, wir erreichen es bald.
Denn die Schürferei zehrt gewaltig an den Kräften. Das sieht man an mir, an meinem Gesicht. Meine Tochter ist noch jung und frisch. Ihr soll es besser gehen, wenn sie so alt ist wie ich.“
Elsa-Maria, Marina, Sandra und all die Frauen und Männer in den Flüssen und Abraumhängen, die sich augenzwinkernd untereinander „Guaqueros“ (Geröllgeier) nennen, kennen ein paar Gesichter und ziemlich viele Geschichten von Smaragdschürfern, die plötzlich von hier verschwunden sind und zu Reichtum gekommen sein sollen. Die ihn wohl gefunden haben: den tiefgrünen Smaragd, von dem alle träumen. Nach dem alle schürfen. Doch den nur wenige finden.
Farbe der Hoffnung
Kurz vor Sonnenuntergang ist Feierabend. Sandra packt zusammen und schlurft hundemüde aber „irgendwie glücklich“ zu der klapprig-rostigen Seilbahn, die sie schaukelnd über das Tal in ihr Dorf chauffiert. Dann sind es nur noch zwei Kilometer bis zu ihrem „Haus“. Es ist eine bescheidene, auf Lehmboden gebaute Holzhütte mit nur einem Wohnraum, einem Bett, einer winzigen Kochnische und undichtem Dach. Drum herum völlige Dunkelheit, Bäume, Wäscheleinen, schlafende Hühner, eine Hängematte, das Außenklo.
Das Anwesen kostet 21.000 Peso (12 Dollar) Miete im Monat. Es gibt kein fließendes Wasser, aber doch meistens ein paar Stunden
Strom aus der Steckdose. „Außer zur Regenzeit“, sagt Sandra beim Club-Colombia Bier unter dem funkelnden Sternenhimmel, während die Nachtvögel im Dschungel ihr Konzert anstimmen. „Wenn die Regentropfen trommeln, die Flüsse über die Ufer treten, dann sitzen wir abends bei Kerzenlicht. Das ist nicht immer nur romantisch."
Warten auf den Einen
Wie ein Lauffeuer spricht sich am nächsten Morgen die Nachricht herum, dass die Mineros (Minenarbeiter) in der Mine Catedral bald auf eine Smaragdader stoßen werden. Die Farbe der Gesteinsschichten weise darauf hin. Auch Sandra hat es eilig. „Grün ist die Hoffnung“, ruft sie, guckt in den Himmel und bekreuzigt sich.
Am Maschendrahtzaun vor der Mine trifft sie Elsa-Maria und Marina. Die drei Frauen beschließen, im Team zu arbeiten. Die Mineros karren den Schutt in kleinen Loren von tief unten ans Tageslicht und schütten ihn auf den Abraumhang. Die Geröllgeier, die drängelnd die Ellenbogen einsetzen, füllen den Schutt in Säcke und transportieren ihn ab, um ihn auf Edelsteine zu untersuchen. So macht es auch Sandras Mannschaft.
„In der Mine ist es staubig und dunkel. Die Arbeiter könnten Smaragde übersehen haben. Das ist unsere Chance“, erklärt Sandra. Mit Hämmern und bloßen Händen klopfen die Frauen die Schieferplatten auseinander.
Als die Temperatur auf 40 Grad im Schatten klettert und die Sonne
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fast im Zenit steht, funkelt es plötzlich grün zwischen dem schwarzen Gestein. Die Smaragde sind zwar nur sehr klein aber doch so viel Wert, dass die Kolumbianerinnen sich in den nächsten Wochen keine Sorgen machen müssen, wie sie Miete und Lebensmittel bezahlen können. „Kleine Steine sind besser als keine Steine“, sagt Sandra – und setzt sich, ermattet von der Arbeit, auf einen Holzstumpf.
Doch sie lächelt zufrieden.