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Hausbesuch bei der Mafia / Wunderwelt Wissen (10 Seiten) / 2009

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Hausbesuch bei der Mafia
„Don Victor“ Carranza ist Kolumbiens geheimnisvoller Pate, Smaragdzar, Multimilliardär. 2000 Leibwächter schützen ihn vor Killern, Kidnappern und Konkurrenten. Zum ersten Mal haben Reporter ihn mehrere Tage lang begleitet.
Foto: Günther Menn
Er trägt Panamahut, Schnauzbart, kurze Hose. Seine Füße stecken in Badeschlappen, über der linken Schulter liegt ein Sommerponcho, der wie ein Geschirrtuch aussieht. Damit tupft sich Don Victor Carranza - Smaragdzar, Milliardär, Mafiaboss - den Schweiß von Schläfen und Stirn. Nahe dem Provinznest Puerto Lopez im Bundesstaat Meta, fünf Autostunden von der Hauptstadt Bogotá entfernt: Es ist später Nachmittag und drückend schwül. Am Rande der Ebene erstreckt sich die Silhouette der Anden. In dieser betörenden, aber wegen der Gesellschaft zahlreicher Anakondas, Piranhas und Moskitos, die an und in den Sümpfen und Seen lauern, nicht eben einladenden Umgebung steht Don Victors Lieblings-Hacienda "Ginebra".
IN MUZO WERDEN DIE KOSTBARSTEN
EDELSTEINE DER WELT GESCHÜRFT
Rein äußerlich ähnelt Carranza dem Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez, nur ist sein Metier weniger feinsinnig als das des Nobelpreisträgers.
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Der Mann schnüffelt, als nähme er Witterung auf. Sein Händedruck verrät, dass er auch mit 71 noch kräftig zupacken kann. Mit einer Kopfbewegung deutet er auf einen nahen Baum: "Vorsicht, hier wird scharf geschossen."
Wie auf Befehl klatscht eine reife Mango als gelber Brei auf den zementierten Boden. Carranza hält sich den Bauch vor Lachen. Und die fünf Leibwächter, die den ersten von mindestens zwei bis maximal sechs Sicherheitsringen um ihren Boss bilden, Pistolen im Holster, Maschinenpistolen und Handgranaten in schwarzen Umhängetaschen, prusten ebenfalls los.
"Die Reporter aus Deutschland gehören ab sofort zur Familie", befiehlt Carranza. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis Kolumbiens geheimnisvoller Pate endlich zu einem Treffen über mehrere Tage in privatem Umfeld bereit war. Nur wenige Kolumbianer haben Carranza je zu Gesicht bekommen. Aber wohl jeder im Land kennt seinen Namen. Er ist einer der größten Landbesitzer und Viehzüchter des Andenstaates, vor allem jedoch: Herrscher über die Smaragdminen rund um den 5000-Seelen-Ort Muzo in der Provinz Boyaca.
Muzo ist die Schatzkammer Kolumbiens. In den feuchtheißen Dschungel-Tälern rund um die kleine Stadt werden die teuersten Smaragde der Welt abgebaut. Die perfektesten sind die kostbarsten Edelsteine der Erde. Smaragde sind eine Sonderform des viel häufiger vorkommenden Edelsteins Beryll. Wenn diese Kristalle mit kleinen Mengen Chrom oder Vanadium unter dem richtigen Druck in Verbindung gekommen sind, leuchten sie betörend grün. Die schönsten Smaragde sind wertvoller als Diamanten.
Bis zu 120 000 Dollar pro Karat (0,2 Gramm) zahlen Liebhaber für die grünsten Steine; Diamanten kosten "nur" 18 000 Dollar pro Karat. Die Queen von England, der Scheich von Brunei, der Sultan von Bahrain tragen die Kostbarkeiten aus Muzo in der Krone.
5000 STARBEN IM KRIEG
UM DIE "TRÄNEN DER GÖTTER"
60 Prozent aller auf der Welt gehandelten Smaragde stammen aus Carranzas Minen. Steine im Wert von 200 bis 400 Millionen Dollar gelangen pro Jahr von hier aus in den Handel, noch einmal die gleiche Menge auf den schwarzen Markt, schätzen Insider. Carranza ist seit fast zwei Jahrzehnten Oberkommandeur des kolumbianischen Smaragd-Kartells - das lukrativste nach dem Kokain-Kartell.
Die mit den Inka verwandten Muisca-Indianer haben die ergiebige Fundstelle in Muzo vor ein paar tausend Jahren entdeckt. In den Legenden der Indianer sind Smaragde die "Tränen der Götter". Kriege wurden um sie geführt. Als der letzte vor 18 Jahren endete, war Carranzas Aufstieg vom armen Bauernsohn zum mächtigen Boss der Smaragdbranche besiegelt: 5000 Menschen starben bei dem Jahre währenden Konflikt zwischen Edelsteingangs und Kokainkartellen. Carranza hat den "grünen Krieg" gewonnen.
Für die meisten Bewohner der etwa 20 Ortschaften um die Minen und die vielen Smaragdsucher, die Guaqueros (Geröllgeier) und Mineros (Minenarbeiter), die mit Schaufel und Spitzhacke in den Schächten, Flüssen und im Geröll nach den grünen Splittern suchen, für die etwa 100 000 Kolumbianer, die heute von
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den Edelsteinen leben, ist Carranza Heilsbringer und Volksheld. Für viel mehr Kolumbianer ist er dagegen einer der ganz großen Mafiabosse im Land.
Die kolumbianische Regierung hat sich in den brutalen Wirren des Krieges ganz aus der abgelegenen Smaragdregion zurückgezogen und 1990 Carranzas Minengesellschaft Tecminas eine 50-Jahres-Konzession ausgestellt. Jahrelang durfte er herrschen, wie er wollte; erst seit kurzem versucht die Regierung, ein Mindestmaß an staatlicher Autorität wiederzuerlangen. Doch noch immer muss Carranza keine Steuern zahlen und nur einen geringen Teil seines gigantischen Gewinns abführen.
"Ich habe die Minen verpachtet. Die Pächter kümmern sich um die Erschließung neuer Vorkommen, um Arbeiter und Maschinen", erklärt Carranza sein gewieftes Geschäftsmodell bei einem Glas eiskaltem Club-Colombia-Bier: "Ich beschäftige in Muzo nur ein paar Verwalter, Berater und Informanten. So entstehen mir kaum Kosten." Dafür gehört ihm die Hälfte der gesamten Ausbeute, über deren Höhe er schweigt. Zudem besitzt er das Vorrecht, bei jeder Auktion als Erster einen Blick auf die Steine werfen zu können: "So geht mir kein besonders wertvolles Exemplar durch die Lappen."
In Bogotá werden die Edelsteine geschliffen und gehandelt. Das "Emerald Trade Center" im Zentrum beherbergt die größte und wichtigste Smaragdbörse der Welt. In dem Zwölf-Etagen- Gebäude haben Edelsteinhändler aus Moskau, Tel Aviv, London, New York, Tokio und Hongkong Büros gemietet. Hier kaufen die Juweliere der Königshäuser.
In den Straßen und auf den Plätzen rund um das Zentrum bieten Dealer, Unterhändler und Gangster ihre funkelnde Ware feil. Die Smaragde gelangen oft illegal aus dem Land, per Schiff oder Flugzeug: Ein Stein von der Größe einer Haselnuss kann ein paar hunderttausend Dollar wert sein, ein Stein von Kiwi- Größe mehrere Millionen.
DER MILLIARDÄR ERFREUT SICH
AN KITSCHIGEN KUCKUCKSUHREN
Zikaden zirpen. Der Pool plätschert. Drinnen in Don Victors Landhaus, wo Deckenventilatoren die Hitze umwälzen und kitschige Kuckucksuhren ticken, duftet es nach gegrilltem Fisch und Fleisch. Blanca Carranza, 65 Jahre alt, seit 47 Jahren mit dem Smaragdmogul verheiratet und Mutter von fünf gemeinsamen Kindern, schenkt Fruchtsaft ein. Sie sagt nicht viel. Sie lächelt nur. Bei Fragen der Journalisten verweist sie stets devot auf ihren Mann.
KIDNAPPING-KOMMANDOS DER
GUERILLA LAUERN IHM AUF
Seine Smaragdsammlung sei so wertvoll, dass nicht mal Bill Gates sie ihm abkaufen könne, prahlt der Klunker-König. Sagenhafte zwei Kilo wiege sein größtes Exemplar.
Wo er die Steine aufbewahrt? "Nicht in Banken." Wie viel Vieh und Fincas er besitzt? "Ziemlich viel. Hab‘ die genauen Zahlen nicht im Kopf." Ihm gehören ganze Inseln in der kolumbianischen Karibik und halbe Bundesstaaten in seinem Heimatland, das doppelt so groß ist
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wie Frankreich. Insgesamt soll sein Landbesitz so groß sein wie das Bundesland Bayern.
Gemeinsam mit fünf Brüdern und einer Schwester ist der Mann, den das Magazin "Forbes" Anfang der neunziger Jahre das erste Mal in seiner Milliardärsliste aufführte, in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen. Die Eltern waren Bauern und starben früh. Nur drei Jahre ging Victor zur Schule. Schon als Kind habe er gelernt zu kämpfen, sagt er. Seine Vita fasst er so zusammen: "Mit acht fand ich meinen ersten Smaragd. Mit zwölf gründete ich meine erste Firma. Mit 16 besaß ich meine erste Mine. Mit 18 wurde ich Don Victor genannt."
Wer in Kolumbien ein Don sein will, wer in diesem Geschäft reich und mächtig werden und überleben will, muss besonders skrupellos sein - und wissen, dass er Feinde hat, die ebenso skrupellos sind. Carranzas Name steht ganz oben auf der Todesliste der linken Guerilla, der Revolutionären Streitkräfte (FARC) und der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Die Guerilla, rund 20 000 Mann stark, sieht den Milliardär als ihren Erzfeind und verdächtigt ihn, die rechten Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC, 8000 paramilitärische Söldner) finanziell zu unterstützen. Beide Terrororganisationen liefern sich seit über 40 Jahren einen grausamen Bürgerkrieg.
Auf Carranzas Grund und Boden wurde ein Massengrab gefunden. Er wird verdächtigt, eine Folterschule betrieben zu haben. Seine angeblichen Beziehungen zu den für viele Massaker verantwortlichen Paramilitärs haben ihm Ende der achtziger Jahre Untersuchungshaft
und von 1998 bis 2001 einen Gefängnisaufenthalt beschert, aber darüber will er nicht sprechen. Die Untersuchungen sind noch immer nicht abgeschlossen.
"Ich bin zwar kein Freund der Guerilla, stehe aber mit den rechten Milizen in keinerlei Verbindung", beharrt Carranza. Trotzdem hat die FARC zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Sprengsätze sind explodiert, Autos wurden beschossen. Zwei Dutzend seiner Leibwächter haben nicht überlebt. Angeblich liegen ständig mehrere getrennt voneinander operierende Kidnapping-Kommandos der FARC auf der Lauer.
Auf Gewalt antwortet Carranza mit Gegengewalt. 2000 Mann umfasst seine Leibgarde. Die Regierung hat ihm kürzlich zwei Ultimaten gesetzt: Er soll den Waffenbestand seiner Privatarmee drastisch reduzieren und in seinem Smaragdreich dafür sorgen, dass die Kokafelder vernichtet werden. In den letzten Jahren wurden dort 80 Drogenlabors ausgehoben, berichtete Kolumbiens größte Tageszeitung "El Tiempo" kürzlich. 5000 Hektar seien noch immer mit den verbotenen Sträuchern bepflanzt.
Auch mit dem Kokainhandel habe er nichts zu tun. Seine Drogen seien einzig die Edelsteine, versichert Carranza mit drohend gefalteter Stirn. In einem gegen Minen und MG-Beschuss gepanzerten Toyota Landcruiser geht es am nächsten Abend von der Hazienda Ginebra in die einen Kilometer entfernte Kleinstadt Puerto Lopez am Meta-Fluss. "In Puerto Lopez kann ich mich frei bewegen", schwärmt Carranza. Das heißt, dass ihn hier nur eine Handvoll
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sichtbarer Leibwächter abschottet.
WAS DEM SMARAGDZAR FEHLT,
IST EIN THRONFOLGER
Sein Traum ist es, einmal ganz alleine durchs Land zu reisen. Zu reiten. Vom Amazonas im Süden bis hinauf an die karibische Küste im Norden. Doch er weiß selbst nur zu genau, dass es für ihn keinen Weg zurück ins normale Leben gibt. Und so fühlt er sich schon "glücklich", wenn er sich mal bei Dunkelheit ein bisschen unters Volk mischen kann: "Viele der Menschen hier arbeiten für mich. Ganze Familienclans leben von dem, was ich ihnen zahle. Sie sehen alles. Sie melden alles. Sie sind meine besten Soldaten."
Routiniert beziehen die Bodyguards im Umkreis eines Straßencafés Stellung. Sicherheitschef Jorge Santander, 44, Ex-Offizier des kolumbianischen Geheimdienstes DAS, sowie zwei andere bleiben nahe beim Boss. Der ordert Anisschnaps. Carranza spricht von seinen fünf Kindern: Ein Sohn ist geistig behindert. Ein anderer Tierarzt. Der älteste, Hollmann, ist Verwalter in der Muzo-Mine. "Hollmann kann leider nicht in meine Fußstapfen treten", klagt Carranza. "Er hat kein Herz. Keinen Biss. Als mein Nachfolger würde er nicht lange leben." Eine Tochter ist Künstlerin, die andere Hausfrau, mit einem Bankdirektor verheiratet. Ein Thronfolger ist nicht in Sicht.
DON VICTORS HAUPTSTADT-RESIDENZ
IST KEIN BISSCHEN HERRSCHAFTLICH
Don Victor ist brutal - und wirkt wie ein netter, einsamer alter Mann.
Einer, der sich alles leisten kann und es gar nicht will. "Einen Helikopter und eine Cessna besitze ich zwar, aber nur, weil es oben oft sicherer für mich ist als unten." Bevor er eine Yacht anschaffe, kaufe er lieber ein Kanu. Das sei gut für die Muskeln: "Als einzigen Luxus habe ich mir in letzter Zeit neue Zähne geleistet. Und Straußenlederstiefel. Die waren auch nicht gerade günstig. Halten aber eine halbe Ewigkeit."
Während er so spricht, spitzen die Männer in Hörweite die Ohren und feixen. "Don Victor zahlt mir schlappe 50 Dollar im Monat. Das ist Mindestlohn in unserem Land. Er ist ein guter Patron. Aber kein großzügiger", verrät der Koch Luis Carlos.
"Die Wege des Don sind unergründlich. Er weiht niemanden ein. Nicht mal seine Familie. Er lässt sich nur von seinem Instinkt leiten", sagt einer der Leibwächter. "Oft gibt er mitten in der Nacht Befehl zum Abmarsch. Weil er sich plötzlich nicht mehr sicher fühlt. Oder aus irgendeiner Quelle eine Warnung erhalten hat. Dann fahren wir woanders hin, wechseln mehrmals die Wagen, sind 30 Stunden am Stück unterwegs."
"Die Geschäfte rufen", raunt er am dritten Morgen im Vorbeigehen. "Wir sehen uns. In Muzo, in Bogotá oder beim lieben Gott im Himmel." Ein kurzes Augenzwinkern noch, dann brettert die Wagenkolonne in Richtung Anden, wo ein Gewitter aufzieht. Carranza bleibt einige Tage abgetaucht. In Muzo wird gemunkelt, er treffe jeden Moment ein. Plötzlich surrt das Telefon. Die SMS von Sicherheitschef Jorge Santander ist militärisch knapp: "Treffpunkt Bogotá. Morgen."
Kolumbiens Neun-Millionen-Metropole liegt auf einem Hochplateau inmitten der Anden. 2600 Meter über dem Meeresspiegel.
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Carranzas Residenz liegt im Nobelviertel Santa Anna, wo überall elektronische Augen und Ohren installiert sind, die gewaltigen Mauern Stacheldraht oder Hochspannungsleitungen tragen und abgedunkelte Limousinen schusssichere Scheiben haben. Die Gärtner schneiden seltsam unkonzentriert die Hecken, in den meisten Fällen sind es Sicherheitsleute.
Das Haus des Smaragdkönigs ist kein Palast. Putz bröckelt von den Wänden, Linoleumbelag in Küche und Bädern. Überall stehen schnörkelige Figuren und Skulpturen aus Keramik und Porzellan um die neobarocken Möbel herum. Über dem Kamin im Wohnzimmer hängt ein Porträt in Öl von 1990. Es zeigt Victor Carranza als stolzen Macho mit gerecktem Kinn, der gerade den milliardenschweren Krieg um die Machtposition im kolumbianischen Edelsteinkartell gewonnen hat.
Ein paar misstrauisch guckende Geschäftsleute und ein Anwalt in Anzug und Krawatte sitzen auf Carranzas weißen Ledersofas. Sie räuspern sich und warten. Die Atmosphäre ist angespannt, der Hausherr fahrig und gestresst. Die Mundwinkel hängen herunter, die Augen sind rot gerändert. Laufen die Geschäfte schlecht? Gibt es Ärger mit der Staatsanwaltschaft? Ist ihm die FARC auf den Fersen?
Kolumbiens Smaragdzar greift in die Taschen seiner weinroten Hüftjacke und zieht ein paar Plastiktüten mit funkelndem Inhalt heraus. Die geschliffenen Steine sind sechs Millionen Dollar wert, schätzt er. Die Rohsmaragde, zum Teil kinderfaustgroß, taxiert er auf 14 bis 16 Millionen: "Einige haben das Zeug, mal Kronjuwelen zu werden."
Dann verschwindet er schon wieder mit seinem gepanzerten Tross von Sicherheitsleuten und Stiefelleckern. Steinreich und doch irgendwie bettelarm. Gefangen in einem mobilen smaragdgrünen Käfig. Und vermutlich weiß nicht mal er selbst, wohin die Reise geht und wie lange sie noch dauern wird.