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Im Fadenkreuz / P.M. (8 Seiten) / 2008

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Sie glauben, Sie haben ein Privatleben? Seien Sie sich nicht zu sicher!
Mit technischen Tricks dringen professionelle Spione durch jede Tür, in jedes Auto und jedes Telefon.
P.M.-Autor Jörg Heuer hat einen Lauschangriff auf sich selbst in Auftrag gegeben. Ein Profi folgte tagelang - und verwanzte sogar mühelos seinen Computer
Foto: Manfred Klimek
Es ist fünf vor zwölf an einem entspannten Sommertag in Berlin. Doch die Aufregung steigt, der Countdown läuft. In fünf Minuten endet mein normales Leben erst mal. Ich habe einem Ex-Geheimdienst-Agenten den Auftrag erteilt, mich auszuforschen. Mich als Zielperson gläsern zu machen, heimlich in mein Auto und mein Hotelzimmer einzudringen, in mein Handy und in meinen Laptop. Um Punkt zwölf Uhr wird er sich an meine Fersen heften.
Und dann wird er genau das tun, was auch Nachrichtendienstler, Zielfahnder, Wirtschaftsagenten oder Privatdetektive so machen, wenn sie jemanden ins Visier nehmen: mir möglichst viele Geheimnisse abjagen. 48 Stunden habe ich dem Undercover-Ermittler gegeben, meine Privatsphäre auszuhebeln. Der Spion, der nichts als meine Visitenkarte und ein Foto hat, meinte, er habe für solche Operationen meist mehr Zeit, aber auch »die schnelle, schmutzige Nummer« sei kein Problem.
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Sein Handwerk hat der Mann, der anonym bleiben will, bei dem damals besten deutschen Nachrichtendienst gelernt. »Bei der Stasi«, sagt er. Menschen beschatten und überwachen, das ist noch immer sein Beruf. Sonst spioniert er im Auftrag mittelständischer Unternehmen oder Privatpersonen, die sich das leisten können und keine Skrupel kennen.
DIE ZEIT TICKT
Der Spion liegt auf der Lauer. Die Observation, immer der Beginn einer Ausforschung, läuft. Ich sehe meinen Schatten nicht, höre ihn nicht, weiß nicht mal, wie er aussieht. Ich versuche, alles genau so zu machen wie sonst auf Dienstreisen auch, wenn ich Protagonisten und Informanten treffe. Im beschaulichen Berlin-Kladow suche ich mir eine passende Unterkunft: ein Hotel mit italienischem Restaurant. Um Kastanien, Linden und Blumenkästen herum gepflegter Rasen. Der Blick geht über einen kleinen Hafen auf den glitzernden Berliner Wannsee,. Segelboote schaukeln auf den sanften Wellen, leicht gekleidete Menschen flanieren die Uferpromenade entlang.
Ich hole mein Gepäck aus dem Kofferraum, gucke mir im Hotel ein paar Zimmer an, beziehe das mit der Nummer 13. Es liegt im ersten Stock, besitzt von außen schwer zugängliche Fenster, blickdichte Gardinen und ein annehmbares Sicherheitsschloss. So eines, mit dem viele ihre Wohnungen, Häuser oder Geschäfte abschließen. Wenn Kongresse oder Messen in der Stadt sind, steigen hier gern Geschäftsleute, Ärzte und Professoren ab, erzählt die Dame an der Rezeption. Vermutlich auch schon manche echte Zielperson.
Ich entscheide mich für einen Besuch im wenige Kilometer entfernten Schwimmbad. Ich ziehe die Tür des Zimmers zu, schließe zweimal ab. Den Schlüssel nehme ich mit. Das ist sicherer, als ihn an der Rezeption zu lassen, die nicht immer besetzt ist. Im Schwimmbad lasse ich mir Zeit. Mir fällt nichts Besonderes auf. Ich ziehe mich um, schalte mein Handy aus, verstaue die Sachen im Spind, stecke den Euro in den Schlitz, prüfe, ob der Schrank auch wirklich zu ist.
Was der Agent anstellt, während ich schwimme, erfahre ich zwei Tage später: Er öffnet meinen Spind mit dem passenden Pick. Sein Einbruchs-Sortiment besteht aus rund zwei Dutzend solcher gebogenen Eisenhaken. Er trägt es immer bei sich. Binnen fünf Sekunden hat er den Schrank auf. Der Spion schnappt sich den Hotelschlüssel, checkt mein Handy. Weil es aus ist, lässt er es liegen. Er hat zwar eine Spionagesoftware dabei (solche Programme, etwa FlexiSpy, gibt es für rund 150 Euro im Netz), kann sie aber nur auf das Handy laden, wenn es an ist.
Er schiebt den Euro zurück ins Schloss, schließt den Spind wieder zu und schlüpft in eine Umkleidekabine. Mit dem Spezial-Schlüsselkopiersystem »Quick-Key« (kostet 300 Euro und passt in jede Hosentasche) dupliziert er meinen Hotelschlüssel in drei Minuten: Eine schnell härtende Silikonmasse speichert den Abdruck des Schlüssels, der dann über einem Mini-Bunsenbrenner (ein Teelicht tut es auch) mit einer Eisenlegierung ausgegossen wird. Das macht keinen Krach, nicht mal schmutzige Finger. Quick-Key würde genauso bei Wohnungs- oder Autoschlüssel funktionieren.
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Mit der Schlüsselkopie hat der Spion freien Zutritt zu meinem Hotelzimmer.
MEIN AUTO PRÄPARIERT
der Spion praktisch im Vorübergehen: Er bückt sich, als schnüre er die Schuhe – in Wirklichkeit befestigt er einen GPS-Sender mit Magneten und wasserdichtem Plastik-Schutzgehäuse unter dem Wagen. Der batteriebetriebene Sender ist so klein wie ein Feuerzeug, die Installation nur ein Handgriff. Mithilfe des Senders kann der Agent an seinem Computer jetzt auf wenige Meter genau verfolgen, wo sich mein Auto gerade befindet. Und die Batterie hält zwei Tage – lang genug für diesen Auftrag.
Der Agent liegt gut in der Zeit. Er fährt zum Hotel, klopft an meine Zimmertür, wartet, guckt vorsichtshalber mit einer Speziallinse (made in China, 350 Euro) durch den Türspion ins Zimmer hinein. Niemand drin. Er geht rein, klappt meinen Laptop auf. Doch auch der ist ausgeschaltet. Auf die Schnelle hat der Spion – wie beim Handy – keine Chance, sein Schnüffelprogramm zu installieren (das sogenannte Root-Kit kann man ebenso im Internet für etwa 70 Euro he-runterladen). Stattdessen versteckt er einen kleinen schwarzen Peilsender (300 Euro, Reichweite wenige hundert Meter) inmitten eines Gewirrs von Kugelschreibern, Folien, Notizheften, Quittungen und Belegen in einem Seitenfach meiner Arbeitstasche. Mit der Digitalkamera filmt er dann die Einrichtung des Zimmers.
Zum Schluss fotografiert er Seiten aus meinem Adressbuch. Er hat es nur auf ein paar Namen,
besonders auf Kosenamen von Kollegen und Freunden, abgesehen. Denn er will mir in Kürze eine Nachricht auf mein Handy schicken. Und in die Betreffzeile den Namen eines Freundes oder Kollegen schreiben, damit ich die Nachricht auch wirklich öffne und nicht etwa lösche. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, bei mir aber gar nicht nötig: Ich öffne alle Nachrichten.
Kurz testet der Spion, ob er das Türschloss auch mit dem Elektropick (einem batteriebetriebenen Vibrator mit Stahlhakenaufsatz, der die Sperrstifte im Schloss auf Öffnungsposition schlägt, 400 Euro) knacken kann, falls er den Nachschlüssel mal vergisst. Er kann. In Sekunden. Zufrieden verlässt er mein Zimmer. Der GPS-Sender an meinem Auto meldet, dass ich auf dem Rückweg bin.
Seit dem Mauerfall arbeitet der erfahrene Undercover-Agent wie viele seiner Ex-Geheimdienstkollegen aus Ost und West in der Überwachungsbranche, vornehmlich als »Informationsbeschaffer, Schwachstellenanalytiker und Problemlöser«. Der Umgang mit Spezial-Einbruchswerkzeug, Spionageelektronik und Spitzelsoftware ist so normal für ihn wie für den Maler Pinsel und Farbeimer, sagt er später.
ZUM JÜNGSTEN TELEKOM-SKANDAL
sagt er: »Da ist bisher nur ein Teil der Wahrheit ans Tageslicht gekommen. Wenn Profis darauf angesetzt werden, das Leck, aus dem Betriebsgeheimnisse abfließen,
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zu verifizieren, dann ist das Abgleichen von Verbindungsdaten, wie es bei der Telekom geschehen sein soll, nur ein kleiner Teil des Jobs. Der Sicherheitschef des Unternehmens würde mir nie wieder einen Job geben, wenn das alles wäre, was ich ihm liefere. Er will wissen, mit welchem illoyalen Manager seines Unternehmens der böse Journalist was besprochen hat. Er will Fotos sehen, Mails und SMS lesen, Gesprächsmitschnitte hören. Er will griffige Sachen haben. Beweise, Druckmittel. Spionage in der Wirtschaft ist längst das, was Doping im Spitzensport ist. Ohne sie hängen die anderen dich einfach ab. Telekom ist überall.«
Bei diesem 48-Stunden-Auftrag arbeitet der Ermittler mit einem Elektronik-Spezialisten zusammen. Dieser Berater stellt einen Teil des Equipments zur Verfügung. Er ist knapp zwei Meter groß, trägt nur Schwarz und wohnt am Rand von Berlin. Grundlagen seines Handwerks hat der Überwachungstechniker bei Konzernen im früheren Westteil der Stadt erlernt. »Wer möchte, darf mich Mister Q nennen«, sagt er. »Ich verhalte mich konspirativ. Das liegt in meinem Interesse – und natürlich im Interesse meiner Kunden.«
Mister Q entwickelt Spionagetechnik für Sicherheitsbehörden und private Ermittler. Er gehört zu den Besten, er kennt die Angriffstechniken – und er weiß natürlich auch, wie man sich am effizientesten vor Hightech-Spionageangriffen schützen kann. Man kann Mister Q anrufen und ihn beauftragen, wenn man glaubt, dass man abgehört oder ausgespäht wird. Seine Abwehrstrategien beginnen immer mit einer ausführlichen Beratung.
»Sicherheit beinhaltet ein Bündel von Maßnahmen«, sagt Q: »Ein seriöses Sicherheitskonzept muss gemeinsam mit dem Klienten ausgearbeitet werden, es fängt beim Abhörschutz an und endet bei der Zutrittssicherung.« In seinen beiden Werkstätten in der Wohnung und im Keller fertigt er unter dem Stereomikroskop vor allem Audio- und Videowanzen. Sie liefern kristallklaren Ton und gestochen scharfe Farbbilder. Er tüftelt an Peilsendern, Körperschallmikrofonen, Einbruchswerkzeugen wie dem Quick-Key und dem Elektropick. »Der Besitz von Wanzen ist grundsätzlich erlaubt«, erklärt Mister Q. »Strafbar macht sich nur, wer die Wanzen und Überwachungskameras ohne richterliche Genehmigung in Steckdosen, Rauchmeldern und Wechselsprechanlagen installiert, sie also in Gegenständen des täglichen Gebrauchs tarnt. Meine Kunden sind jedoch nicht Endverbraucher, sondern Unternehmen in der Detektiv- und Bewachungsbranche und Behörden. Getarnte Wanzen dürfte auch ich nur mit einer behördlichen Genehmigung herstellen.«
AM SPÄTEN ABEND
sitze ich bei immer noch milden Temperaturen, dem zweiten Pils und einem halben Hähnchen im Biergarten am Wasser. Ich checke die Nachrichten, die sich auf meinem Handy gesammelt haben. Was ich nicht ahne: Auch der Spion hat eine Nachricht geschickt. Und einen Trojaner drangehängt: eine Spionagesoftware, die sich mit der Öffnung der Nachricht unbemerkt auf meinem Handy installiert. Sie manipuliert es so, dass fortan bei ein- und ausgehenden Anrufen automatisch eine Konferenzschaltung zum Spion eingerichtet wird.
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So hört er jedes meiner Telefonate mit – von mir unbemerkt. Er kann jede SMS und MMS, meine Kontakt- und Anruflisten lesen. Und er kann es als Wanze benutzen. Über die Freisprecheinrichtung hört er mit, was in meiner Umgebung gesprochen wird.
Der Spion reibt sich die Hände. Es funktioniert. Er hört mich mehrere unwichtige Telefonate führen und liest ein paar belanglose SMS, die ich versende. Über das Handy, das neben meinem Bierglas liegt, registriert er, dass die Vögel um mich herum zwitschern und ich mich mit einem Bekannten unterhalte, der sich an meinen Tisch gesetzt hat. Der kleine Peilsender in meiner Arbeitstasche gibt dem Spion meine genaue Position an.
Während ich schlafe, pirscht der Spitzel sich im Schutz der Dunkelheit wieder an mein Auto heran. Er steckt einen dünnen Spreizkeil aus Plastik von oben mit der flachen Seite in die Tür – genau dort, wo die Gummidichtung sitzt. Mit einem aufblasbaren kleinen Luftkissen biegt er die Tür ganz sanft gerade so weit auf, dass er arbeiten kann: Mit einer filigranen Spezialzange aus der Medizintechnik führt er die Audiowanze (400 Euro) ins Wageninnere ein und lässt sie hinter den Fahrersitz plumpsen. Die Alarmanlage mei-nes Autos springt nicht an, weil sie übers Schloss scharf gestellt ist. Dann entfernt der Spitzel Spreizkeil und Luftkissen, der chirurgische Eingriff in mein Auto ist abgeschlossen, die Wanze funkt. Die Batterie hält ein paar Tage. Nun gönnt sich der Spion einige Stunden Schlaf.
WÄHREND ICH DRAUSSEN
mit Blick auf den Wannsee frühstücke,
installiert der Lausch- und Spähangreifer in meinem Zimmer, eine Überwachungskamera (350 Euro) – versteckt hinter den Lüftungslamellen des Kleiderschranks. Hinter dem Bild neben dem Bett befestigt er mit Klebeband eine weitere Audiowanze. Hätte er mehr Zeit und müssten die Wanzen länger senden, würde er sie in Steckdosen und Rauchmeldern installieren. Er setzt sich in sein Auto und wartet, bis ich mit dem Frühstück fertig bin. Sobald ich im Zimmer bin, aktiviert er Wanze und Kamera per Fernbedienung. Auf dem Videoscanner (800 Euro) sieht er in Farbe, über einen Empfänger (600 Euro) hört er in guter Qualität, was ich in Zimmer Nummer 13 mache. Zum Beispiel, dass ich den Computer anschalte und arbeite.
NACHDEM
er bereits Auto, Handy und Hotelzimmer gekapert hat, ist der Laptop das Einzige, worauf er noch keinen Zugriff hat. In der kurzen Zeit hat er nur eine Chance: Er muss ihn angeschaltet in die Hände bekommen. Und er hat Glück: Als am Abend wieder Besuch eintrifft, versetze ich aus Bequemlichkeit meinen Laptop in den Ruhezustand. Ein grober Fehler. Die Zeit, die ich mit dem Besuch in einem Lokal am Wasser verbringe, reicht dem Agenten locker, um das Spionageprogramm auf dem Computer zu installieren. Er braucht dafür nicht mal zehn Minuten. Dann läuft das Root Kit, das dem Spion die volle Kontrolle über meinen Computer gibt. Er kann Textdateien und E-Mails lesen, meiner Surf-Spur durchs Netz folgen, mein Passwort und meinen Kontostand sehen – alles. Für ihn sitze ich jetzt nackt im Glashaus.
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Sein Job ist schon lange vor Ablauf der 48-Stunden-Frist erledigt. Auch das macht nachdenklich. Und ganz schön Angst. Doch als wäre dies alles nicht schon haarsträubend genug, hat Mister Q am nächsten Tag, nach der Auswertung und Analyse des schnellen Lausch- und Spähangriffs, noch eine Bitte. Er will, dass ich sein Stereo-Körperschallmikrofon, das bei dieser Operation gar nicht zum Einsatz kam, teste. Zehn Jahre hat er daran getüftelt und es ständig verbessert. Er könne damit sogar durch einen halben Meter dicke Betonwände hören. Der Preis des Super-Ohrs: 2500 Euro.
Ich klebe das Körperschall-Mikrofon an zwei Wände irgendwo in Berlin. Die Installation dauert keine Minute. Das Hightech-Ohrfängt die Luftschwingen im Zielobjekt, die an die Wand prallen, und verstärkt sie viele Male. Ich setze mir gespannt die Kopfhörer auf. Einmal lausche ich weit in die Lagerhalle eines Freundes, den ich natürlich vorher um Erlaubnis fragte, hinein. Ein anderes Mal höre ich sogar das Ticken des Weckers im Schlafzimmer von ebenfalls eingeweihten Bekannten, die vorher nicht einmal ahnten, dass so etwas überhaupt möglich ist.
»Nur wer weiß, was heute technisch alles möglich ist, kann mit Fachwissen und professioneller Technik für seriösen Schutzsorgen und erfolgreich Wanzen suchen«, kommmentiert Q.