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Millionengeschäft Menschenraub / Max (8 Seiten) / 2001

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Millionengeschäft Menschenraub
Kolumbien - Land des Kidnappings. In vier Jahren wurden mehr als 11.000 Menschen verschleppt. Darunter viele Deutschte. Erstmals waren westliche Reporter bei der ELITEEINHEIT der Armee, die im Dschungel Jagd auf die Guerilleros macht.
Foto: Günther Menn
Die Angst. Plötzlich ist sie da. Sie schnappt nach dir. Wie ein Pittbull im Blutrausch. Sie lässt dich nicht mehr los." Als Jens Jensen mir von seinem wahr gewordenen Albtraum erzählt, starren seine blauen Augen ausdruckslos in den Aschenbecher. Tief in seinem Inneren gräbt er nach etwas, das sein Leben nach dem Kidnapping in Kolumbien beschreibt. Doch welche Worte charakterisieren schon die lähmende Ohnmacht. Den Horror. Die Angst, die bleibt. „Ich bin am Arsch. Ein taumelndes, einsames Wrack. Ich schaffs nicht zurück ins normale Leben", klagt der Mittdreißiger. Seinen richtigen Namen verrät er nicht. „Selbstschutz", sagt er dazu.
Jensens „normales" Leben fand Ende der 90er Jahre in der Hauptstadt Bogota ein jähes Ende. Erst seit kurzem arbeitete er in der Sieben-Millionen-Metropole für ein internationales Unternehmen. Er war mit seinem Toyota-Jeep auf dem Weg zur Baustelle.
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Plötzlich wurde der Ingenieur von zwei Kleinwagen und einem Motorrad in die Zange genommen. Sie drängten den Jeep an den Straßenrand. Zwei Pistoleros zerrten den geschockten Gringo vom Fahrersitz. Verschnürten ihn mit Klebeband. Stießen ihn in den Kofferraum. Stunden danach folgte der Gewaltmarsch durch den Dschungel. Hin zu einem elenden, halb verfallenen Dorf. Zitternd vor Furcht und Kälte fand sich Jensen in einem leeren Raum wieder. Angekettet. Das schmale Fenster, nur ein Schlitz im Beton, war mit Holz vernagelt. Er bekam einen Jogginganzug und zweimal am Tag zu essen. Maskierte Männer bewachten ihn in den nächsten vier Wochen. Dann tauchte der Anführer auf und polterte wütend: „Wenn deine Firma nicht zahlt, hacken wir dich in Stücke und schicken dich im Plastiksack nach Bogota zurück." Zwei Monate später waren Kidnapper und Vorstand der Firma sich offenbar handelseinig. Wie viel Geld floss, weiß Jensen nicht. Er hat nicht danach gefragt. Es ist ihm peinlich. Und seiner Firma auch. Sie untersagte ihrem Angestellten, mit seinem Schicksal an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie vertuschte die Geiselnahme.
21 Tage nach der wiedererlangten Freiheit wollte Jensen wieder arbeiten. Doch die Erinnerungen kamen zurück. Herzrasen. Panikanfälle. Schweißausbrüche. Er konnte nicht mehr Auto fahren. Nicht mal seine Wohnung verlassen. Der Psychologe kam zu ihm ins Haus. Ewigen Krankschreibungen folgte Jensens Entlassung. Und die Rückkehr - nach acht Jahren im Ausland – nach
Deutschland. „Wenn du einmal in so einer Geisel-Scheiße drin warst, kommst du da nie wieder raus", sagt er. Jetzt lebt Jensen von Sozialhilfe. Für die Zukunft sieht er schwarz: „Der Mensch wird zur Handelsware. Und Kolumbien ist erst der Anfang."
Kolumbien ist Weltmeister im Kidnapping. In dem krisengeschüttelten Andenland, wo große Teile der Bevölkerung unendlich arm und nur ein paar dutzend Familien-Clans unsagbar reich sind, wo die Korruption grassiert und die Regierung nur ein Drittel des Landes kontrolliert, wurden von Anfang 1996 bis zum 19. September 2000 nach offiziellen Angaben 11161 Menschen verschleppt. Unter ihnen mindestens 20 Deutsche, von denen drei ihr Leben verloren (Myriam Nathan, Liselotte Nathan Schönfeld, Alexander Scheurer). Ende August dieses Jahres kam die vorerst letzte deutsche Geisel, der Automechaniker Rolf Sommerfeld, frei. Nach 366 Tagen Geiselhaft.
Touristen verirren sich kaum noch ins Andenland. In Kidnapper-Kreisen sind besonders europäische und amerikanische Geschäftsleute, sowie deren Familien begehrt. Oft sind diese bei Hiscoxs, American International Group, Allianz oder Colonia gegen Entführungen versichert. Für sie werden von den kolumbianischen Kopfgeldjägern eine bis fünf Millionen Dollar verlangt - und auch bezahlt. Die höchste Lösegeldforderung in Kolumbien betrug 40 Millionen Dollar und die höchste je für eine Deutsche verlangte Freikauf-Summe sechs Millionen Dollar. Die Geldübergabe für
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Brigitte Schöne - Ehefrau des ehemaligen BASF-Chefs Kolumbiens - vermittelte 1996 der Privatdetektiv Werner Mauss. Danach musste er sich des Vorwurfs erwehren, er mache mit den Geiselnehmern gemeinsame Sache und heize die Entführungsindustrie erst richtig an. 200 bis 300 Tage Geiselhaft in abgelegenen Dschungelcamps sind die Regel, starke Gewichtsabnahme und Bartwuchs inklusive. Und jeder zwanzigste Entführte stirbt.
Die Dunkelziffer in dieser boomenden Lösegeld-gegen-Leben-Industrie liegt jedoch weit höher. Denn nur etwa jeder dritte Menschenraub wird – aus Angst, Hilflosigkeit oder Image-Gründen - angezeigt, schätzt Pais Libre, ein Zusammenschluss ehemaliger Entführter. Sicher ist, däss fast 80 Prozent aller Kidnappings auf das Konto der beiden großen Guerilla-Gruppen des Landes gehen: der „Nationalen Befreiungsarmee" (ELN, 8000 bewaffnete Söldner) und der „Revolutionären Streitkräfte" (FARC, 15 000 Söldner). „Die Rebellen unterhalten Geheimdienste und beschaffen sich Insider-Informationen über im Lande operierende multinationale Konzerne. Sicher auch über deren Versicherungspolicen. Die FARC hat kürzlich sogar ein Gesetz erlassen, nach dem alle, die mehr als eine Millionen Dollar verdienen, zu entführen seien", sagt Guillermo Restrepo, Anti-Kidnapping-Koordinator der Regierung.
ELN und FARC nutzen neuerdings auch gewöhnliche Gangster als Subuntemehmer – als Frischfleisch-Lieferanten. Sie lassen sich mit Geiseln beliefern. So bestreiten die marxistischen Rebellen, die sich
Anfang der 60er Jahre eigentlich mit dem Ziel gegründet hatten, für die Freiheit zu kämpfen, einen Großteil ihres Haushalts aus dem Menschenhandel. Und der Umsatz stimmt. „Allein 1999 flössen in Kolumbien 550 Millionen Dollar an Lösegeld", sagt Dr. Alfonso Manrique, Vorsitzender von Pais Libre und selbst zwischen 1995 und 1997 18 Monate von der FARC entführt. Damit ist das Geschäft mit den Geiseln bereits einträglicher als der gesamte Kaffeeexport des Dritte-Welt-Landes.
Auf dem Flug von Bogota in die subtropische Zwei-Millionen-Stadt Cali ist mir schlecht. Secuestro (Entführung) ist eine eigene Rubrik, fällt mir beim Durchblättern der lokalen Tageszeitungen auf. Auch wir sind als Reporter in diesem Land so etwas wie ein saftiger Braten, sagte uns ein Ministeriumsmitarbeiter vor der Abreise. Fette Beute. Eine Kidnapping-Police wollte uns kein Agent verkaufen. Das Risiko, Reporter zu versichern, sei zu groß. Ich habe ein paar Notfallnummem von k & r"-Firmen in meinem Notizbuch. Das Kürzel steht für kidnapping and ransom. Entführung und Lösegeld. Bei Geiselnahme übernehmen professionelle Unterhändler - ehemalige Militärs, Geheimdienstler und Kriminalpolizisten - die Kontaktaufnahme mit den Kidnappern.
Marktführer auf diesem Gebiet sind die britische Control Risks Group und die US-amerikanische Kroll Associates. Control Risks rühmt sich, bereits 100 Geiseln aus Kolumbien befreit zu haben. Vermutlich würde ich aber zuerst Wemer Mauss anrufen.
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Mauss verfügt noch immer über gute Kontakte zur ELN. Er könnte bei meinem Verschwinden vielleicht zügig vermitteln und auch meine Familie beruhigen. Hoffe ich.
Auslöser dieser gruseligen Gedanken, dieser atembeklemmenden Atmosphäre in der Kokain-Hochburg (Cali-Kartell) ist ELN-Anführer Ovidio Parra Cortes, „El Zarco" (der Blauäugige) genannt. Fünf Tage vor unserer Ankunft kam er mit 50 Guerilleros im Gefolge aus den Bergen hinunter. Auf der Via del Mär an Kilometerstein 18, wenige Autominuten außerhalb von Cali, stoppte das Terrorkommando den Verkehr. Die mit AK-47 Gewehren, Pistolen, Handgranaten, regulären Armeeuniformen, gefälschten Ausweisen und der Teilnehmerliste eines Geschäftsessens ausgestattete Gangsterhorde stürmte sechs Restaurants. Überwältigte den Sicherheitsdienst. Schoss wild um sich. Verlangte von den Ausflüglem präzise Auskunft über Verdienst und Besitz. 58 Männer, Frauen und Kinder - eine US-Bürgerin, Ärzte, Rechtsanwälte, Kaufleute, aber auch Kellner, Babysitter, Studenten und Rentner - verfrachteten die Guerilleros auf Kleinlaster und verschwanden mit ihnen im Dschungel. El Zarco ist Spezialist für Massenentführungen.
Erst im Mai vergangenen Jahres verschleppte er 186 Gläubige aus der Kirche Santa Maria in Cali. Nur den Pastor nahm er nicht mit. Der blieb in einer Blutlache zurück. Alle Kirchen-Geiseln kamen inzwischen frei. Einige für Geld, andere wurden nach Aushändigung von Naturalien freigelassen: Verwandte der Entführten gaben
bei den Menschenräubem Medikamente, Motorsägen und Mopeds ab. Die Guerilla nimmt, was sie kriegen kann. Und nach der Freilassung verlangten sie von ihren Opfern noch Schutzgeld, um gegen zukünftige Entführungen versichert zu sein. Politisch motivierte Geiselnahmen hingegen spielen kaum noch eine Rolle, erklärt der Leiter der örtlichen Polizei. Es gehe nur noch um die Kohle, fiir die ELN wie FARC eine besonders makabere Bezeichnung haben: „Revolutionssteuer." Doch dies mal kann sich El Zarco nicht so sicher sein, den Zaster einzuheimsen. Denn Armee und Polizei haben schweres Geschütz gegen ihn und seine Häscher aufgefahren. Sie setzen ihnen nach. Mit Blackhawk-Kampfhubschraubem und Anti-Guerilla-Spezialeinheiten der Dritten Armee-Brigade. Deren Kommandant General Canal gab den Befehl aus: „Tötet die Verbrecher."
Durch den Druck der Verfolger sah sich das ELN-Rollkommando bereits gezwungen, 21 Geiseln freizulassen. Die demonstrieren jetzt im Zentrum der Stadt mit weißen T-Shirts, auf denen „km 18" und „Santa Maria" steht. „Guerilleros, ihr rennt in den Abgrund. Reißt uns nicht mit", ruft eine Freigekommene. El Sirena, der berüchtigte Stadtteil im Süden Calis ist ELN-Gebiet. Wir müssen da durch, um in die Berge zu kommen. Also verriegeln wir den Wagen und brettem mit Tempo 90 über den löchrigen Asphalt. Ignorieren Ampeln und Einbahnstraßen. Dann geht es über glitschige Pisten hinauf ins Gebirge. In den Dschungel. Dorthin, wo der Kidnapping-Krieg tobt.
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In einem Kaff namens Suriaz machen wir halt. Die meisten Bewohner sind geflohen. Nur die Alten und Kranken hocken noch in ihren Hütten. Auf dem Dorfplatz und in den Gassen lungern etwa 150 Soldaten. Viele stecken in regennassen Uniformen und Gummistiefeln. Sie trinken Bier, rauchen, dösen. Es ist wie in einem Vietnam-Kriegsfilm. »Bringt euch in Sicherheit", rät mir ein Soldat, dessen Gesicht eine lange Narbe verunstaltet. „Jeden Moment kann der Kugelhagel losbrechen. ELN und FARC haben sich verbündet." Kurz vor der Dämmerung zieht der Haufen los. Weiter die mörderischen Berge hinauf. Dorthin, wo sie die Geiseln vermuten. Wo die Guerilla sie schon erwartet.
Wir machen uns auf den Rückweg in die Stadt. Unten sagt mir der Chef des Lauschtrupps, er habe einen uns betreffenden Funkspruch der ELN abgefangen: „Greift euch die Gringos, die sich da in den Bergen rumtreiben." Glück gehabt. Großes Glück.
In der Kaserne der Dritten Brigade werden uns am nächsten Tag ein 22-jähriger toter und vier lebende Guerilleros präsentiert. Der Junge ist ein Milchgesicht in ELN-Kampfuniform. 14 Jahre alt. Die Mädchen (ein Drittel der Rebellen sind weiblich) 16,17 und 18. So also sehen die Fließbandarbeiter der Entführungsindustrie aus. »Sie haben keine Wahl. Entweder sie machen bei der Guerilla mit - oder sie fressen in den bitterarmen Bergregionen vor lauter Hunger die Rinde von den Bäumen. Oder sie werden von den Paramilitärs, den Todesschwadronen, massakriert", raunt ein Reporter von der
Tageszeitung El Tiempo. „Ihr Glück ist, dass sie noch so jung sind. Wären sie älter, hätte das Militär sie abgeknallt. So zeigt man sie lieber vor und sagt, seht her, die Rebellen zwingen Kinder an die Knarren." "Und knallt sie danach ab?" frage ich. Der Journalist hebt stumm die Schultern.
Leichenwäscher Hector Spinoza, 30, aus dem städtischen Krankenhaus hat auch ohne die Kinder-Kidnapper alle Hände voll zu tun. „Mein Job ist der krisenfesteste in ganz Kolumbien. Jeden Tag kommt massenweise Nachschub. Soldaten, Guerilleros, Geiseln, alles", sagt er und steift sich wieder die Gummihandschuhe über. Während der Nacht sollen mindestens 15 Soldaten und ebenso viele Rebellen unweit der Ortschaft Suriaz ihr Leben verloren haben, höre ich. Wo die 37 Geiseln sind, weiß noch niemand.
Sobald sie geortet sind, schlägt die Stunde der „Geier". So wird die GAULA, die Anti-Kidnapping-Einheit genannt. Von Tätern wie von Opfern. Und immer schwingt Furcht in der Stimme desjenigen mit, der von der GAULA spricht. Mit ihr möchte keiner konfrontiert werden. Wenn sie kommt, geht es nur noch ums Entweder-Oder. Um Leben und Tod.
1500 Mann, die besten Soldaten des Landes, sind über ganz Kolumbien auf 18 GAULA-Gruppen verteilt. Sie müssen für den Sold von 450 Mark im Monat alles sein: Kampfschwimmer, Minensucher, Fallschirm- und Gebirgsjäger, Leibwächter und Scharfschütze.
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Zwei Geiselbefreiungs- Einsätze sind der wöchentliche Schnitt einer solchen Antiterror-Truppe. Und alle GAULAS zusammen erlösen dabei pro Jahr etwa jeden zwölften Entführten. „Ohne den absoluten Killerinstinkt überlebst du in dem Job keine zwei Wochen", sagt Alexander Beitran, 24, von der in Bogota stationierten und für die besonders gefährlichen Fälle zuständigen GAULA-Elite. „Wenn wir ein Geiselcamp stürmen, machen wir erstmal jeden platt. Dann gucken wir, wer die Guten und die Bösen sind", sagt Beitran.
„Manchmal erwischt es auch den Falschen, klar. Denn die Guerilleros kennen keinen fairen Kampf. Die ELN zum Beispiel hängt ihren Opfern ausrangierte Waffen um. Damit wir sie töten, wenn wir einfliegen", ergänzt Beitrans Kampfgefährte Enrique Pardo, 23. „Und wenn es der FARC ans Leder geht, tötet sie zuerst ihre Gefangenen. Kotzen könnte ich bei so was."
Viele Menschen verlassen inzwischen aus Angst vor Entführungen das Land. Auch die Deutsch-Kolumbianerin Karin S. ist am Ende ihrer Kraft. Die 27-Jährige will weg aus Bogota. Aus Kolumbien. „Was habe ich von diesem so wunderschönen Land, wenn ich mich nicht mal ins Auto setzen und eine Spritztour machen kann", fragt sie. „Mein Vater verdient sehr gut. Wir leben in einer 220-Quadratmeter-Luxuswohnung. Mit Sauna, Kronleuchtern und Kaminen. Hier kommt keiner rein. Das Haus wird bewacht. Doch es ist ein goldener Käfig. Wenn ich rausgehe, beginnt das große Nervenflattem. Ich nehme nie den gleichen Weg. Vielleicht beobachten
sie mich schon. Nee, keinen Bock mehr. Ich habe mich in Europa um einen Job beworben. Weil ich sie endlich loswerden will. Die Angst.