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Paten der Nacht / Max (8 Seiten) / 2002

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Paten der Nacht
Michael Kuhr wäre so gern Polizist geworden. Doch weil er zwei Zentimeter zu klein war für den Job, kämpft er jetzt mit einem eigenen EINSATZKOMMANDO gegen die Schutzgelderpresser und Drogendealer Berlins.
Foto: Michael Trippel
Der Mann mit der Glatze macht sich fertig für die Berliner Discos, doch er sieht so aus, als ziehe er in den Belfaster Häuserkampf: Elf Patronen stecken im Magazin seiner Glock-Pistole, eine im Lauf. Der Dolch an der Innenseite der Lederjacke. Pfefferspray, Taschenlampe und Verbandszeug am Gürtel. Die kugelsichere Weste soll Neun-Millimeter-Geschosse abhalten. Er erwartet „Ärger": Michael Kuhr, 40, ganz in Schwarz gekleidet, verheiratet, eine Tochter. Der vierfache Profi-Kickbox-Weltmeister schnappt sich den Schlüssel des 735er BMW: „Auf geht's. Den Verbrechern an die Wäsche."
Jedes Wochenende patrouilliert der Inhaber der auf „Gastronomieabsicherungen" spezialisierten Firma Kuhr Security durch das »Kriegsgebiet". So nennt er die Berliner Nachtclubs und Diskotheken, in denen er als Türsteher de Luxe für „Recht und Ordnung" sorgt, den Schutzgelderpressern und Drogendealern „das Geschäft vermasselt": im
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Weddinger „Palace", Spandauer „Starlight", Lichtenberger „Tollhouse", Wilmersdorfer „Annabell's", im Charlottenburger „Madow" und auch im Kasino am Potsdamer Platz. Alles gut laufende Läden. Doch in allen gibt es das gleiche Problem. „Sie liegen im von Clans und Cliquen kontrollierten Gebiet", erklärt Kuhr. „Das macht den Schutz der Objekte zum lebensgefährlichen Job. Aber ich lass' mir keine Angst einjagen. Ich mache die Clubs sauber. Und sorge dafür, dass sie es bleiben."
Der nur 167 Zentimeter große ehemalige Postbote stützt sich bei den Säuberungen auf die Schlagstärke und Abschreckungskraft seiner eigenen, 22-köpfigen „Gang": Russen, Ukrainer, Kasachen, Türken, Albaner, Jugoslawen und ein paar Deutsche. Fast alle über 1,80 m groß, nicht vorbestraft, sie arbeiten in schwerer Weste, mit Messer, Gummiknüppel oder Baseball-Schläger in Griffweite; Boxer, Ringer, Vollkontakt-Treter, Ex-Elitesoldaten. Männer mit mächtigen Muskeln und harten Handkanten, die 95 Euro pro Nacht für den Job kassieren und sich äußerlich gar nicht groß von den gemeinen Erpressern unterscheiden. Einige kennen sich auch ganz gut in der Unterwelt aus. Das, erklärt Kompaniechef Kuhr eilig, bringe „Respekt, Rückendeckung und Informationen über feindliche Truppenbewegungen".
Der klotzige Türke Kadir zum Beispiel, als „Kundschafter und Selekteur" bei Kuhr angestellt, kennt das Innenleben der meisten arabisch-türkischen Clans, die den Großteil des Berliner Nachtlebens kontrollieren. Paul, Türsteher, tätowiert bis an den Hals, ist Mitglied des Rockerclubs Bandidos MC Eastgate, der Rivalen der Hells Angels.
Sergej, Leibesvisiteur, ukrainisches Kraftpaket mit Einzelkämpfer-Ausbildung bei einem militärischen Antiterrorkommando, beschützt unter der Woche auch russische „Businessmeni" vor anderen Mafiosi. Zudem ist Michael Kuhr mit den beiden großen, alten Männern des Berliner Milieus befreundet: mit Klaus Speer, den die Lokalpresse lange als Paten von Berlin bezeichnete, und mit Steffen Jacob, dem Prinzen vom Stutti (Stuttgarter Platz).
Waffen, Schutzgelderpressung, Prostitution, Drogen
Seine Security-Kompanie sei so strukturiert, meint Kuhr, wie eine Spezialeinheit der Polizei strukturiert sein müsste. Nur könne sie wesentlich effektiver arbeiten, weil sie sich nicht unbedingt an Dienstvorschriften halten müsse. „Ich kenne die meisten bösen Jungs der Stadt noch aus meiner aktiven Zeit als Kickboxer. Zu den WM-Fights im Berliner Boxtempel sind die jungen Verbrecher doch immer alle gekommen. Heute sind sie die Clanchefs, alle so Mitte bis Ende dreißig, so schnell blasen die mich nicht um", protzt KickboxKuhr auf dem Weg in die 2000 Nachtschwärmer fassende Weddinger Disco „Palace". Neben ihm sitzt sein „Einsatzleiter": Michael Waltner, 37, ebenfalls Waffenträger, 1,90 m groß, 91 Kilo schwer. Beim Technischen Hilfswerk habe er Einsätze koordiniert. Ansonsten will Waltner nichts über seine Herkunft verraten. „Warum den Gegner schlau machen?" Für seinen Boss sei er so was wie der „Nachrichtendienstler", immer auf dem neuesten Stand in Sachen
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Kriminalitätsentwicklung. Mit „heißen Drähten" zu mehreren Referatsleitem beim Landeskriminalamt. Jedoch auch durch eigene Ermittlungen stets über die Bewegungen der Banden im Bilde. Wenn irgendwo in der Stadt geschossen, gebrandschatzt, geprügelt oder gemordet wird – Waltner kriegt heraus, wer dahinter steckt. Und wenn jemand seinen Kommandeur Ruhr fragt, wer denn der Hüne mit der Hüftjacke, dem Strickpullover und den ausgelatschten Schuhen an seiner Seite sei, antwortet er wie selbstverständlich: „Ein Bulle. Sieht man doch."
An die „Befreiung" des „Palace" vor fünf Jahren aus „arabisch-türkischer Umklammerung" kann Kuhr sich noch ganz genau erinnern. War sie für ihn doch Anfang der steilen Karriere vom Kickbox-Fliegengewichtler zum Milieu-Schwergewichtler: „Das, 'Palace' hieß früher 'Joe am Wedding'. Schutzgeld, Drogen, die ganze Palette." Der neue Betreiber „hatte mit den Arabern nichts am Hut. Also sagte er zu mir: »Michael, ich will den Laden sauber haben. Mach du mal die Tür.' Ich traf mich also mit dem Obermufti vom Wedding. ,Das ist mein Revier', meinte der Gangster, ich müsse mit ihm die Geschäfte machen. Dafür halte seine Familie mir alle Probleme vom Hals. ,Das war mal dein Revier', antwortete ich. Und bei Problemen rufe ich lieber meine eigene Familie an, die 110."
Mächtige Muskeln und harte Handkanten
So übertrieben war Kuhrs „Ansage" gar nicht. Denn der
Waffenscheinbesitzer pflegt innige Beziehungen zur Staatsmacht, schulte reguläre Sondereinsatzkommando-Beamte (SEK) in Kickboxen und Selbstverteidigung, ist mit einigen befreundet. Selbst mal beim sechzig Mann starken SEK zu arbeiten, ist immer sein großer Traum gewesen. Doch dafür war er zwei Zentimeter zu klein. Als Kuhr & Co. dann zur Eröffnung die Tür im „Palace" bewachten, waren unter den Gästen ein Dutzend Zivilpolizisten – und die Araber-Clique. Deren Drogendealer blieben draußen. Bei der kleinsten Rangelei hagelte es Hausverbote und Anzeigen. Zwei Leute aus dem Dunstkreis des Araber-Clans wanderten in den Knast. Und der Kickbox-Champ hatte seinen Ruf weg: „Ein Bullenspitzel, der immer die Knarre dabei hat und auf das Gesetz der Straße einen großen Haufen scheißt", wie er ein wenig selbstverliebt meint. Er, der kleine Mann mit dem großen Maul und den strammen Muskeln, kämpft (fast) alleine gegen die Mafia. Das ist genau die Rolle, in der der Bruce-Lee-Fan sich gefällt.
„Mit seiner Arbeitsweise ist Kuhr in eine Marktlücke gestoßen. Denn es gibt in der Berliner Gastronomieszene ein Bedürfnis nach der schützenden Hand. Und die können wir den Gastronomen leider nicht mehr - oder noch nicht wieder - bieten. Kuhr ist uns da einen Schritt voraus. Er hält die meisten Halbwelt-Typen fern", sagt Thorben Knackstedt (Name von der Redaktion geändert) vom Landeskriminalamt, Fachbereich für ausländische Bandenkriminalität. Seinen richtigen Namen verrät der Beamte nicht, weil seine Dienststelle dieses Gespräch nicht genehmigt hat. „Viele Discos und Clubs sind
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rechtsfreie Räume und die Tür-Steher oft Handlanger von Schutzgelderpressem. Sie drängen sich auf, indem sie ihre Schläger schicken. Die randalieren, provozieren Messerstechereien oder Schießereien, bis der Inhaber der Disco sagt: 'Okay, die Gäste bleiben weg, ich brauche euren Schutz.' Immer noch besser als der Pleitegeier. Doch stehen die Kriminellen erst mal an der Tür, steuern sie den Drogenfluss, haben die Kontrolle über die Kasse. Und bald stellen sie den Geschäftsführer. Nach und nach gehört ihnen der Laden. Es ist immer das gleiche Spiel, ein Geschäft mit der Angst. Nur jeder zwanzigste Wirt zeigt die Erpressung an. Und fast jeder zweite zieht die Anzeige wieder zurück." 700 Türsteher und 1500 Kontaktpersonen gehörten zur kriminellen Szene in der Hauptstadt, schätzt Knackstedt, der seit Jahren im Milieu malocht. Ein gutes Dutzend Großfamilien beherrsche die Bezirke: Kurden, Palästinenser, Libanesen, Türken, Russen. Nur wenige Westberliner Rocker und Hellersdorfer Hools mischten bei den großen krummen Geschäften noch mit. »Es gibt nicht mehr allzu viele Plätze, wo man, ohne für den vermeintlichen Schutz zu zahlen, eine Disco, Kneipe, Imbissbude oder auch nur einen Obststand aufmachen kann", resümiert Knackstedt.
Damit rechtsfreie Räume wieder zurückerobert werden können, hat das LKA im Januar 2001 die etwa vierzigköpfige Spezialeinheit „Besondere Aufbauorganisation Türsteher" (BAO) gegründet. Das Ergebnis von einem Jahr harter Nachtarbeit beziffert BAO-Chef Markus Henninger, 35, so: rund 150 Ermittlungsverfahren, 60 Festnahmen, 35
Haftbefehle.
Michael Kuhr wirkt in seinem „Hochsicherheits-'Palace'" viel größer, als er in Wirklichkeit ist. Die hübschesten Mädchen der Stadt beschütze er vor den bösesten Buben der Stadt, sagt er. Übertrieben aufrecht steht er an der Tür, Solarium-braungebrannt, durchtrainiert, kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Gramm Fett zu viel, erweckt er den Eindruck, als könne ihn nichts und niemand umhauen. Typen, die in einer anderen Gewichtsklasse kämpfen, verneigen sich fast, wenn er sie reinlässt.
Plötzlich zieht Kuhr am Handy ein ernstes Gesicht, trommelt seine sieben „Palace"-Polizisten zusammen: „Eine Schlägertruppe ist im Anmarsch. Augen und Ohren in erhöhter Alarmbereitschaft halten. Abtasten und aussortieren, was das Zeug hält." Leibesvisiteur Sergej, 39, reibt sich die linke Schulter. Erst letzten Freitag hat ihn jemand im „Palace" mit dem Messer erwischt. Die Wunde des Ukrainers musste genäht werden. Auch Frontmann Tobias, 25, hat vor vier Tagen mit Glück an der Tür des Lichtenberger „Tollhouse" eine Messerattacke überlebt. Der albanische Angreifer rammte die Klinge gegen die Weste des Deutschen. Einsatzleiter Michael Waltner bezieht draußen mit der Videokamera „Beobachtungsposten". Und der türkische Verbindungs-Mann Kadir führt ein paar lautstarke Telefonate auf Arabisch. Bis auf zwei sichergestellte Springmesser und einen Schlagring gibt es keine besonderen Vorkommnisse im Verlauf der Nacht.
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Am Samstagabend fährt Michael Kuhr mit seinem Kumpel Waltner zuerst ins Friedrichshainer Sport- und Erlebniszentrum.
Respekt, Beziehungen, einflussreiche Freunde
Profiboxen steht auf dem Programm. Eine ziemlich miese Veranstaltung mit geringem sportlichen Wert, jedoch sehr hohen Wetteinsätzen. „Hier trifft sich das obere Management der Unterwelt", sagt Waltner. Von den vielleicht 600 Zuschauem seien siebzig Prozent Verbrecher, schätzt er; sechzig Prozent, schätzen die vier Fahnder von der BAO, mit denen er und Kuhr zusammenstehen. Sehen und gesehen werden, lautet die Devise. Hilft beiden Parteien.
Dass die Nordafrikaner mit den gegelten Locken zwei ganz schwere Jungs aus der Drogenszene sind, wissen die Beamten und die Pseudobeamten. Sie wissen auch, dass der gedrungene Kurde im weißen Pullover in Kreuzberg Schutzgeld eintreibt. Dass die vier deutschen Luden den Strich an der Straße des 17. Juni (Tiergarten) und der Oranienburger Straße (Mitte) zwar kontrollieren, doch trotzdem an die Araber-Clique zahlen. Die BAO-Leute filmen und fotografieren ihre Klientel, Kuhr und Waltner „pflegen Kontakte zur Konkurrenz": „Was macht ihr denn hier?" fragt ein schnauzbärtiger libanesischer Gangsterboss, den zwei grimmig dreinblickende Bodyguards flankieren. „Wir observieren dich", antwortet Kuhr trocken und klopft dem Libanesen lächelnd auf die Schulter. Bussi hier. Küsschen da, Kuhr benimmt sich, als sei er der Pate der Nacht. Auf
dem weg nach Spandau erzählt er, dass er erst einen "kampf" um eine Disco "verloren" habe. Um das prestigeträchtige "Chip" im "Hilton"-Hotel in Mitte: "Eine Bande bot mir die Zusammenarbeit an. Ich lehnte wie üblich ab. Kurz darauf gab es eine Schlägerei mit vielen verletzten. Der "Chip"-Betreiber schickte mir die Kündigung. Ich hatte meine Deckung nicht oben, nur zwei Leute an der Tür. Das passiert mir nicht noch mal."
Das „Starlight" in Spandau ist seine „neueste Herausforderung". Erst im Dezember 2001 eröffnet, liegt die Disco in der Nähe der Lynarstraße, mitten in „Klein-Anatolien". Der Laden brumme wie blöde, und in der Szene mache man sich schon lustig über die beiden ortsansässigen türkisch-kurdischen Clans, weil sie „keinen Fuß in die 'Starlight'-Tür" brächten. „Ich garantiere, in den nächsten vier Wochen greifen die Türken das 'Starlight' an. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, um nicht total das Gesicht zu verlieren", glaubt Kuhr. Seine „Informanten" seien wachsam, die Polizisten »im Bilde".
An Michael Kuhrs vierzigstem Geburtstag stand eine Sammelbüchse auf dem Tisch. Von dem Geld will er sich eine neue Weste kaufen: „Schuss- und auch stichsicher soll sie sein", erklärt er seinen Gästen. „Ich will noch lange leben." Darauf hat Steffen Jacob, der Prinz vom Stutti, für seinen „mutigen Freund" noch einen alten PatenSpruch parat: „Junge, du traust dich weit ins Feindesland", sagte der 55-Jährige und lässt den Zeigefinger warnend kreisen. „Doch denk immer dran, Hähne, die morgens krähen, holt abends der Habicht."