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Schwerer Stör-Fall / Die Woche (1 Seite) / 1994

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Schwerer Stör-Fall
Uwe Korroch kämpft in seinem Garten für das Leben von 26 Stören – und gegen die Kaviar-Mafia.
Foto: Manfred Witt
In engen Bassins drehen 26 Kaviarfische ihre Runden. Ihre Heimat ist Uwe Korrochs alter Schuppen auf seinem Grundstück in Arpke, einem Dorf bei Hannover: 1,30 bis 1,50 Meter große Belugastöre, 15 bis 20 Kilo schwer. Die größten Süßwasserfische der Erde werden bis zu 150 Jahre alt, neun Meter lang und gut eine Tonne schwer. Sie jagen sogar Robben und verschlingen ihre Beutetiere im Ganzen. Einen natürlichen Feind haben die grätenlosen Giganten nicht, trotzdem gibt es nur noch wenige – der Mensch ist dabei, sie auszurotten. Denn Belugakaviar, auch „schwarzes Gold“ genannt, ist das teuerste Lebensmittel der Welt. Jährlich werden allein in Deutschland 40 Tonnen davon verspeist, das Kilo zu 2500 Mark (1278 €).
Als Hobby-Aquarianer Korroch seine Störe vor vier Jahren auf der Fisch- und Teichmesse am Bodensee erwarb, wusste er nichts über den
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majestätischen Fisch. „Nur dass es ihn gibt da unten in der ehemaligen Sowjetunion“, sagt er, „im Kaspischen Meer.“ Der Gelegenheits-„Wasserarchitekt“ (er legt Feuchtbiotope an) kauft die jungen, knapp 20 Zentimeter großen Tiere als „Speisefische“. Die will er ein paar Monate in den Gartenteich setzen, ordentlich mästen, dann ab auf den Grill. Lecker. Mal was anderes, ein echter Gaumenkitzel, glaubt der 38-Jährige. Doch als er TV-Reportagen über das Stör-Gemetzel im Kaspischen Meer sieht, sich in Büchern und Fachzeitschriften kundig macht, was für wertvolle und gefährdete Fische da in seinem Tümpel dümpeln, verwirft er sofort jeden kulinarischen Gedanken.
„Die Belugas bevölkern seit fast 250 Millionen Jahren die Erde, haben sogar die Dinosaurier kommen und gehen sehen. Ein Wahnsinn, wie die russische, kasachische und aserbaidschanische Stör-Mafia sie abschlachtet. Die Raubfischer schlitzen die Fische bei lebendigem Leib von den Kiemen bis zum Schwanz auf, kratzen die Eier raus und schmeißen die Kadaver über Bord“, schimpft er fassungslos. „Die Leute, die heute noch Kaviar fressen, denen soll der Kleister im Halse stecken bleiben. Pfui Deibel noch mal!“
Der langmähnige Naturfreund installiert Bewegungsmelder rund um den Teich. Aus Furcht, dass jemand heimlich mit dem Kescher kommt. Er beschließt, es mit den 26 Stören in seinem Teich nun so zu machen wie vorher mit Geburtshelferkröten, Feuersalamandern und
Bitterlingen: „Aufpäppeln, züchten, in die Freiheit entlassen. Sein Traum: „100 000 kleine Störe ins Wolgadelta am Kaspischen Meer setzen.“
Schlagartig verändert sich sein Leben. „Hätt ich gewusst, auf was ich mich da einlasse mit den Knorpelschmelzschuppern, ich hätt die Finger von ihnen gelassen, ehrlich.“, sagt Korroch, der im Monat mit ein paar Hundert Mark Arbeitslosenhilfe auskommen muss. Die Probleme fangen damit an, dass die Störe eine Menge fressen. Neben Trockenfutter auch gerne Frischfisch, den Korroch zu Beginn sogar enthäutet, filetiert und würfelt.
Wer viel frisst, verdaut auch viel. Die Wasserqualität im naturbelassenen Teich leidet mit zunehmender Größe seiner Zöglinge. Und als es richtig heiß ist, im Sommer die Temperatur im Tümpel auf 28 Grad steigt, schwappen die Belugas nur noch seitlich oder gar mit dem hellen Bauch nach oben an der Oberfläche. Korroch telefoniert sich die Finger heiß, niemand weiß Rat. Da krempelt er die Ärmel hoch und kämpft 30 Stunden lang um ihr Leben. Er spannt ein Schatten spendendes Segel über den Teich. Pumpt frisches Wasser und Sauerstoff in die trübe Brühe. Filtert den Dreck heraus. Kühlt die Störe mit dem Wasserschlauch. Drückt sie unter Wasser.
Die Störe haben überlebt, „aber sie brauchen viel mehr Pflege als alles andere, ein ganz anderer Schnack“. Der Schuppen muss entrümpelt werden. Schnell. Zwei neue Bassins müssen da rein.
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Dringend. Neue Pumpen und Wasserfilter. Sofort. Die Störe verlangen nach einer 24-Stunden-Rundumbetreuung. Einen großen Teil seiner Wasseraufbereitungsanlage baut Korroch aus alten Tanks, Blechrohren und Regentonnen selbst. „Hab `ne Waschmaschine zum Trommelfilter umfunktioniert, Schaufelräder für den Wasserdurchlauf gebastelt. All so was.“ Die Wasserqualität in den Bassins im Schuppen prüft er alle drei Stunden per Hand. PH-Wert, Sauerstoff-, Ammonium-, Nitrat- und Nitritgehalt. Tag und Nacht. Mit einem Schuhkarton voller Reagenzgläser pendelt er hin und her. Ein paar Kilometer am Tag. Bei jedem Wetter. Das schlaucht, macht müde, einsam. Es gibt nur noch die Störe. Korroch tut alles für seine Fischfamilie. Er puscht die Wasserwerte auf Maximalqualität. Er salzt das Wasser, um den Tieren die Illusion zu geben, sie schwämmen im Brackwasser der Wolga.
Sein Anwesen verlässt er so selten es geht. Denn der kleinste Stau versetzt ihn in Panik, ebenso lange Schlangen an der Supermarktkasse, die Warterei im Arbeitsamt sowieso. „Die Angst davor, dass die Pumpe oder der Filter ausfällt, dass meine Störe sich quälen oder abnippeln, ist immer im Kopf drin“, sagt er. „Manchmal denk ich schon, ich hab eine Klatsche.“
Groß ist seine Erleichterung, als er zwei Firmen als Sponsoren gewinnt. Sie spendieren – um die Geräte zu testen – Abschäumungssiebe und eine elektronische Wasserüberwachungsanlage inklusive Alarmmelder. Der scheppert
sofort los, wenn im Bassin was nicht stimmt. Endlich kann Korroch Urlaub machen. Ein Bekannter übernimmt die Pflege der Fische. Der ahnt nicht, auf was er sich da einlässt. Ein Dutzend Mal am Tag klingelt er nach Spanien durch, weil Pumpen verstopfen, Siebe verkleben. Weil der Kalk knapp wird, der Sauerstoffgehalt absackt, die Wasserzirkulation stockt, die Alarmanlage verrückt spielt.
„Urlaub war das nicht“, erinnert sich Korroch mit Grausen. Er bricht ihn ab – und stößt zu Hause auf „das blanke Chaos“. Korroch päppelt die Belugas wieder auf und weicht nun gar nicht mehr von den Bassins. Die Störe werden lang und fett. Dem Züchter steht das Wasser bis zum Hals. Die Hose „wird durch den Stress“ weiter, die Haare grauer, die Schulden größer. „Ist alles egal, Hauptsache der Futtereimer ist voll“, sagt der Ausgepowerte.
In seinem Kühlschrank hingegen sieht es trist aus. Jeder Pfennig geht für Futter und die Wartung der Anlagen drauf, und auch die Leute vom Fischgesundheitsdienst kosten. „Wenn ein Stör zwei Tage lang die Nahrung verweigert, hole ich den Gesundheitsdienst“, erklärt Korroch, „wenn einer krank ist, werd ich selber krank. Manchmal wache ich die ganze Nacht am Bassin. Die Burschen sind über die Jahre so was wie Kinder geworden.“
Wer geschäftliches Interesse verrät, den lässt er abblitzen. Der Preis spielt keine Rolle. Korroch bleibt standhaft. Doch er muss sich was einfallen lassen, sonst wird es nichts mit den 100 000 Jungstören
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im Wolgawasser. Das ist ihm im letzten Winter brutal klar geworden: Der Fischfanatiker schrubbt zwei Nachmittage bei nur neun Grad Wassertemperatur die Bassins. Von innen. Danach erwischt ihn eine schwere Lungenentzündung. Eigentlich muss er ins Krankenhaus, wenigstens ins Bett. Doch das geht nicht: „Alle paar Stunden taumelte ich rüber, wie ein alter Mann. Manchmal auch ein paar Mal in der Stunde, wenn die Alarmanlage schrillte“, sagt er, „bei Minusgraden und Eisregen. Mit kaltem Schweiß auf der Stirn. Ich konnte die Störe doch nicht verrecken lassen.“
Das schwere Fieber geht nach Wochen weg. Die Belugas wachsen, die Existenznöte bleiben. Die Bassins (3,60 Meter breit, 1 Meter tief) sind eigentlich schon viel zu lange viel zu klein für die Störe. Sie müssen raus da, sonst grenzt die ganze Züchterei bald an Tierquälerei. Das weiß auch Korroch. Doch wohin? Korroch zuckt mit den Schultern, bückt sich runter und tätschelt einem hungrigen Stör das breite zahnlose Maul: „Ich würde ja gerne im Garten einen neuen Teich anlegen. Mit Hightech-Pumpen und Sieben. Doch die Banker geben mir keinen Kredit. Die lachen sich schlapp, wenn ich ihnen von meinem Stör-Projekt erzähle.“
Schweren Herzens hat er sich jetzt dazu entschlossen, ein paar Fische „in liebevolle Hände“ zu geben. „Aber ich guck mir vorher genau an, wo sie hinkommen. Und in den Kaufvertrag schreib ich auf jeden Fall rein: ‚Kaviar- und Fleischproduktion strengstens verboten.’“ Was er
sich noch vorstellen kann: Stör-Liebhaber übernehmen für einen Monatsbeitrag Patenschaften für einzelne Tiere. Am liebsten aber wäre ihm, der große Sponsor kommt und finanziert den großen Teich mit großen Scheinen. Dann kann er alle Störe behalten – und den russischen Traum noch weiter träumen. Vielleicht sehr lange, denn er weiß noch immer nicht genau, wann seine Belugastöre geschlechtsreif sind.
In Freiheit werden sie es nach 16 bis 20 Jahren. In Gefangenschaft schon nach einem Drittel der Zeit, hofft Korroch. Bewiesen ist das aber nicht. Und überhaupt – es gibt kein Verfahren, an jungen Stören das Geschlecht festzustellen. Es ist möglich, dass in den Bassins nur Männchen oder nur Weibchen schwimmen. „Egal wie und egal wann“, sagt Uwe Korroch kämpferisch und schüttet neues Salz ins Wasser, „ich zieh das Ding durch. Ich fahr zur Wolga. Und ganz sicher nicht alleine!“