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Volkssport Doping / Maxim (7 Seiten) / 2003

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Volkssport Doping
Eine halbe Million Freizeitsportler spritzen und schlucken illegale Dopingmittel. Eine Reise durch die deutschen Muskelberge.
Foto: Jens Palme
Lars ist ein Junkie. Abhängig von Anabolika. Sein Ziel ist ein "55er"-Oberarm. Einen viel größeren Bizeps hatte Arnold Schwarzenegger nicht mal in seinen besten Tagen. Der 21-Jährige aus Erkner bei Berlin spritzt sich das muskelmachende männliche Sexualhormon Testosteron. Die Ampullen kauft er beim örtlichen Dealer für vier bis zehn Euro pro Spritze - je nach Herstellerfirma und Wirkstoffmenge, Er giert täglich nach dem Hormon-Hammer. Sonst kriegt er Entzugserscheinungen. Schwitzt. Pöbelt. Rastet aus. Testosteron macht aggressiv, ungeduldig. Unberechenbar. Keine Freundin hält es lange mit ihm aus.
Meist hat Mutter Viola (41) die Wutanfälle auszubaden. Sie hat längst jeden Einfluss auf ihren Sohn verloren. „Das mit dem Doping ist wie mit Heroin, Da helfen weder gute noch strenge Worte. Da hilft nur die Therapie in der geschlossenen Anstalt", sagt die Krankengymnastin.
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Auf der Suche nach Kohle für die Kraftspritzen hat der stets klamme Doping-Freak schon mehrmals Mutters Wohnungstür eingetreten. Scheckkarte, Schmuck und Parfüm geklaut. Alles, was geht, macht der Testosteron-Junkie zu Geld für neuen Stoff.
Er will den perfekten Body, sagt er. Will bestaunt, bewundert und beneidet werden. Doch ohne die tägliche Injektion ins Muskelfleisch, glaubt der Gelegenheitsjobber, schlafft er sofort ab. Das ist in seinem Kopf so drin. Das hat er in der 284 Seiten dicken Doping-Bibel „Anabole Steroide" (Sport Verlag Ingenohl) gelesen: Mit Testosteron massig und stark werden, können viele. Jedoch sind nur die wenigsten in der Lage. die Muskelmasse nach dem Absetzen zu halten, steht in dem Wälzer. Also setzt Lars gar nicht erst ab. Ist ständig auf Stoff. Seit fast vier Jahren. Mit dem „Testo" kombiniert er momentan "Spiro" (Spiropent-Tabletten). Die lässt er sich per Privatrezept von einem szenebekannten Arzt verschreiben. Die Packung kostet 23.25 Euro und ist eigentlich ein Asthma-Mittel. Der Mediziner weiß genau, wozu sein „Patient" die Pillen missbraucht: „Als Fettverbrenner. Spiro verbessert die Definition der Muskeln", erklärt der klotzige Kleinstädter.
Bevor er zur chemischen Keule griff, sei er dünn gewesen. Dünn ist für ihn ein Schimpfwort. Die Mädchen haben ihn, den "Spargel" (Selbsteinschätzung), ignoriert. In der Clique war er nur Mitläufer. Also ging er viele Male in der Woche trainieren. Doch die Muskeln wuchsen nicht so rasant wie bei anderen im Studio. Der Fitnesstrainer verriet ihm
das Geheimnis: „Spargel muss Wasser ziehen. Tritt den ganzen Nahrungsergänzungs-Quatsch in die Tonne. Nimm mal was Richtiges." Natürlich hatte der Trainer das Richtige dabei. Im Spind in der Umkleidekabine. Fünfeckige „Anabol Tablets". Rosa. Made in Thailand. Original verpackt. 400 DM die 1000-er-Packung. Lars dopte gierig los. Seine Muskeln zogen Wasser. „Ich habe zugucken können, wie sie sich voll sogen", schwärmt er.
Der 1,76 große und einst nur 72 Kilo schwere Twen bringt heute 97 Kilo auf die Waage, ist ein taumelnder Schwellkörper: Die Hülle ist stark – der Inhalt ist krank. Er hat Blut im Urin und im Stuhl. Manchmal kommt ihm auch im Schwall Blut aus der Nase geschossen. Einfach so, beim Training. Der Rücken ist übersät mit Akne-Pickeln. Die Brust vernarbt. Verknotungen resultierend aus Östrogen-Ablagerungen (Gynäkomastie, die sogenannten Bitch-Tits), hat er sich letztes Jahr entfernen lassen. Daumen und Zeigefinger der linken Hand sind seit Wochen taub. Kopfschmerzen. Die Glieder zittern. Das Herz rast. Und wenn er schwitzt stinkt er wie ein Gorilla, Mutter Viola sagt, wenn es ihrem Sohn besonders dreckig geht, ruft er sie auf Arbeit an und jammert: „Mama, ich sterbe."
Rund drei Milliarden Euro setzt die Fimessbranche jährlich um. 5,3 Millionen Menschen (ca. 15 Prozent aller Deutschen) sind in mehr als 6000 Sportstudios aktiv. Muskulös zu sein, ist chic. Deshalb wird in vielen Studios nicht nur munter gestemmt, sondern auch gespritzt und
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geschluckt. Das erspart einen allzu hohen Trainingsaufwand. In jedem Studio kennt jemand einen, der Pillen und Ampullen verkauft. Ohne Umschweife macht so mancher Club-Angestellte den potentiellen Neukunden mit dem Studio-Dealer bekannt. Die Frage in Deutschlands Fimesstempeln und Muckibuden ist häufig nicht, ob man was nimmt, sondern, was man nimmt.
„Etwa jeder fünfte in Sportstudios organisierte Freizeitsportler nimmt anabole Muskelaufbau-Präparate. Acht Prozent der Frauen, 2,2 Prozent der Männer", hat Garsten Boos (41) von der Lübecker Uniklinik in einer vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft begleiteten Studie über den Dopingmissbrauch im Breitensport herausgefunden, Daher geht die Wissenschafft davon aus, dass in Deutschlands Sportstudios mindestens 250 000, wahrscheinlich 500 000 oder mehr regelmäßig dopen. Zum Vergleich: 20 000 Frauen ließen sich letztes Jahr die Brust operieren. Boos: „Die meisten Doper wollen einfach nur mehr Muskeln, mehr Masse. Es geht ihnen nicht um die Verbesserung ihrer sportlichen Leistungen, sondern um besseres Aussehen. Doping ist deshalb nicht nur ein sportliches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Problem."
Frank ist Elitepolizist beim SEK in einer süddeutschen Stadt. Zwei Mal im Jahr leistet er sich eine mehrwöchige Dopingkur, sagt der 39-Jährige. Die Anabolika kauft er von einem „Sportsfreund" aus dem Studio. Er dopt, weil er seinen Job nicht verlieren will: „Wenn ich
körperlich abbaue, werde ich gegen einen jüngeren Kollegen ausgetauscht", glaubt er. Sebastian ist ein 20-jähriger Bundeswehr-Fahnenjunker aus Weimar. Vor knapp einem Jahr schluckte er seine ersten Steroide. Er fühlte sich nicht stark genug für die in Soldaten-Kreisen gefürchtete Einzelkämpfer-Ausbildung im bayerischen Schongau. Jetzt prangt das Einzelkämpfer-Abzeichen an seiner gestählten Brust.
Marco (41) ist selbständiger Handelsvertreter für Lacke und Hobby-DJ aus Nürnberg. „Bizepsimplantate gibt es noch nicht. Warum soll ich die Pharma-Wunder nicht nutzen?" Von seinem Thailand-Urlaub vor wenigen Monaten hat Marco 10000 „Anabol Tablets" nach Deutschland geschmuggelt. In Nürnberg hat er sieben der 1000er-Packungen auf dem Schwarzmarkt mit saftigem Aufpreis weiterverkauft. Sich somit im Nachhinein seinen Urlaub finanziert. Obwohl der Arzt während einer Dopingkur feststellte, dass die Blutwerte im Eimer waren, die Hoden weich und die Spermien fast tot.
„Durch den massenhaften Dopingmissbrauch entsteht den Krankenkassen ein Schaden, der in die 100 Millionen Euro geht", sagt Dr. Carl Müller-Platz vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft. An den Folgen des Dopingmissbrauchs sind bislang mindestens 600, wahrscheinlich weit über 1000 Athleten gestorben, schätzen Insider wie der Heidelberger Doping-Experte Prof. Werner Franke. Amerikanische Wissenschaftler haben bei einer Studie an
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Anabolika-Schlucken ähnliche Suchtsymptome festgestellt wie bei Konsumenten von Opiaten. Da ist es klar, dass mittlerweile auch in Deutschland jeder besser sortierte Drogendealer Steroide im Sortiment hat. Die Gewinnspannen sind ähnlich hoch. 1997 flog die „Deggendorf-Connection" auf: Eine niederbayerische Arzneimittel-Fälscher-clique hatte illegale Dopingmittel selbst hergestellt. Die Fahnder beschlagnahmten mehrere Millionen Anabolika-Ampullen und tonnenweise Tabletten.
Mindestens 100 Millionen Euro setzt der Doping-Schwarzmarkt pro Jahr um, schätzen Fachleute von Zoll und Polizei. Hauptlieferanten sind Labors in Spanien, Griechenland, Ägypten, Holland, Thailand, der Türkei und Osteuropa. Seit ein paar Jahren blüht dort auch ein regelrechter Doping-Tourismus.
„Die Anabolika werden wie Rauschgift ins Land geschmuggelt und verkauft", weiß Wolfgang Schmitz (38) vom Zollkriminalamt in Köln. „Über Flughäfen, Grenzen und Häfen. In Koffern mit doppeltem Boden, präparierten LKW-Reifen, am Körper befestigten Päckchen und in Schiffscontainem. Dopinghändler haben allerdings weitaus geringere Strafen zu befürchten als Drogendealer. Denn das Arzneimittelgesetz ist viel lascher als das Betäubungsmittelgesetz." Auch arbeiten Zoll und Polizei in Sachen Dopingfahndung noch nicht so eng zusammen wie in der Drogenfahndung. Das Doping-Problem ist noch zu neu. Es gibt keine Kontaktleute und keinen konkreten Plan der Bekämpfung.
Trotzdem hat sich die Zahl der vom Zoll erwischten Dopingschmuggler von 1999 (131 Ermittlungsverfahren) bis 2001 fast verdreifacht (355 Ermittlungsverfahren).
Im Kölner Jugendtreff „Luckys Haus", einer Einrichtung des Sozialen Katholischen Vereins für Männer (SKM), herrscht Testosteron-Alarm: Gebrauchte Spritzen liegen rings ums Haus, in der Toilette, im Kraftraum. „Jedes Frühjahr das Gleiche: Wenn's wärmer wird, kommen die Muskeln wieder in Mode", klagt eine Betreuerin. „Die Kids fangen an, sich Testosteron zu spritzen. Und dann kommen die Probleme. Die Jugendlichen entgleisen. Werden aggressiv. Deshalb haben wir alle Geräte im Kraftraum weggeschlossen."
„Ich habe jetzt sieben Kilo mehr drauf als vor drei Wochen", protzt Mehmed. Vor drei Wochen hat der 22-jährige Verbandsliga-Fußballer angefangen, sich die Spritzen in die Schulter und den Oberarm zu jagen. Weil er den schönsten Mädchen der Stadt „einen astreinen Gladiatorenkörper" präsentieren will. Sein Kumpel Ercent, 16, 105 Kilo schwer, Spitzname „das achte Weltwunder", und gut ein weiteres Dutzend Schüler, Auszubildender und Arbeitsloser, die sich hier regelmäßig treffen, sind alle bereits ziemlich aufgepumpt. Im Sommer machen sie zehn bis 20 Kilogramm Masse, die sie im Winter wieder verlieren, weil sie dann nicht mehr spritzen. Das geht hier schon seit drei Jahren so, sagen sie. Und das wollen sie auch so beibehalten.
Jörg Börjesson steht umringt von den Schönwetter-Dopern im
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Kraftraum des Jugendzentrums und lässt Fotos herumgehen. Fotos von sich. Die einen zeigen ihn als strahlenden Supermann im Sportstudio, die anderen als gebrochenen kranken Mann auf dem Operationstisch. Börjesson will die Muskelfreaks über die schlimmen Nebenwirkungen der anabolen Steroide aufklären. Am eigenen Beispiel: Der 37-jährige Ex-Bodybuilder und Ex-Doper aus Dorsten bei Recklinghausen ist ein körperliches Wrack. Im vergangenen Jahr wurden ihm gut 400 Gramm verknotetes Drüsengewebe aus der Brust entfernt. Sehnen, Bänder und Gelenke sind hin, weil er im Dopingrausch viel zu hart trainiert hat. Magen, Darm und Nieren arbeiten nur noch mit halber Kraft, weil er zu viele Pillen gefressen hat. Seine körperliche Konstitution ist die eines doppelt so alten Mannes, weil er ein Idiot gewesen ist, sagt Börjesson, der nun Anabolika-Aufklärung zum Beruf machen möchte. Doch die Jugendlichen in Köln haben kein Interesse an Aufklärung. Sie besitzen die einschlägigen Gebrauchsanweisungen mit den „optimalen" Dosierungen. Sie meinen, dass ihnen nichts passieren kann. Dass sie die Sache mit den Spritzen im Griff haben. Börjessons warnende Worte verhallen an den nackten Wänden des leeren Kraftraums.